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Archiv-Artikel

Nazis schlagen zu, Linke schlagen zurück

Bei den Auseinandersetzungen zwischen Linken und Neonazis in Hamburg hätte es Tote geben können, sagt die Polizei. Die Gewalt sei importiert worden. Aktivisten der „Roten Flora“ distanzieren sich von den Krawallen im Schanzenviertel

DIE OFFIZIELLE BILANZ

Laut Polizeiangaben gab es bei den Feiern und Demonstrationen zum 1. Mai in Berlin insgesamt 103 verletzte Polizisten und 162 Festnahmen. 92 Festgenommene sollten einem Ermittlungsrichter vorgeführt werden, gegen 9 Personen ergingen schon Haftbefehle. In Hamburg gab es 59 Festnahmen und 26 verletzte Polizisten. Angaben über verletzte Demonstranten gab es weder aus Berlin noch aus Hamburg, auch nicht von den Veranstaltern. TAZ

HAMBURG taz■ Für die Hamburger Polizei ist die Sache klar: Die Krawalle am 1. Mai im Stadtteil Barmbek am Rande der Demonstration gegen den Neonaziaufmarsch und in der Nacht zuvor im Schanzenviertel waren importiert. Nur 15 der 59 Festgenommenen kommen nach Angaben der Polizei aus Hamburg. „Die meisten kommen aus den neuen Bundesländern und sind Jugendliche“, sagte Polizeipräsident Werner Jantosch am Freitag. Fast alle Festgenommenen gehörten zur linken Szene. „Die haben es spannend gefunden, sich in Hamburg zu treffen und sich mit der Polizei und den Nazis zu prügeln.“

Mehr als 10.000 Menschen demonstrierten am 1. Mai gegen einen Neonaziaufmarsch. Dazu aufgerufen hatte ein Spektrum von Antifa, Autonomen, Parteien, Gewerkschaften und Kirchen. Das Novum: Das Oberverwaltungsgericht hatte am Vorabend eine Demoroute direkt durch den Arbeiterbezirk genehmigt, was die Polizei zuvor verweigert hatte. Dadurch konnten viele Menschen in die Nähe des Versammlungsorts der Rechten an einem S-Bahnhof gelangen.

Zunächst herrschte die rechte Gewalt. „Die rechte Seite zeigte kein legalistisches Verhalten“, sagte Jantosch und betonte: „Das kennen wir so hier nicht.“ Einsatzleiter Peter Born wurde noch deutlicher: „In den Reihen herrschte ein enorm hohes Gewaltpotenzial.“ Schon vorher waren „autonome Nationalisten“ auf Linke losgegangen. „Auf Stichwort schlugen diese auf Linksautonome ein“, sagt Born. Äußerlich seien beide Gruppen kaum zu unterscheiden gewesen. „Die Polizei musste sich dazwischenschmeißen, sonst hätte es sicher Tote gegeben“.

Die Polizei hatte dann ein weiteres Problem: Da militante Linke Autoreifen auf den S-Bahn-Gleisen angezündet hatten, hatte die Bundespolizei den Bahnverkehr vorübergehend eingestellt. „Die haben schlichtweg den Strom nicht wieder angekriegt“, sagte Born. „Ich hatte das banale Problem: Wie krieg ich die wieder weg?“ Deshalb habe man sich dazu entschlossen, den Weg mit Wasserwerfern und einem Räumpanzer zum nächsten Bahnhof frei zu räumen, wohl wissend, dass sich militante Antifas dem entgegenstellen würden – was dann auch tatsächlich passierte. Dass am Rande des Geschehens mehrere Autos von Besuchern des Stadtparks angezündet wurden, hatte hingegen wenig mit den Kerngeschehen zu tun. „Der Mob hat sich ausgetobt“, sagte Jantosch dazu.

Auch die nächtliche Randale im Szenestadtteil Schanzenviertel im Verlauf eines Antifa-Konzerts im autonomen Stadtteilzentrum Rote Flora unter dem Motto „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ hatte nichts mit autonomer Politik zu tun. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei flogen Steine auf die Einsatzkräfte, und bei einem anschließenden Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei gingen 20 Müllcontainer und zwei Autos in Flammen auf. „Die Leute von der Roten Flora haben noch versucht, beruhigend einzuwirken“, so Einsatzleiter Born. „Das Konzert war auch völlig friedlich.“ Ein Rotflorist bestätigt: „Wir hatten auf den Scheiß keinen Bock.“

Bei der Anreise gelang es etwa 60 Neonazis, zwei Waggons eines Regionalzugs in Beschlag zu nehmen und sich der Lautsprecheranlage zu bemächtigen. Dabei grölten sie: „Ab heute transportiert die Deutsche Bahn AG Ausländer und Deutsche getrennt.“ Für Ausländer stünden „Güterwagen zur Verfügung“.

PETER MÜLLER, ANDREAS SPEIT