: Natur hat ihren Preis
Die Vielfalt der Arten kann nur dann geschützt werden, wenn Ökonomie und Ökologie zusammenarbeiten und der Wert der Umwelt rational abgewogen und begründet wird
Ökonomie und Ökologie sind miteinander verfeindete Brüder. Wie zerrüttet das Verhältnis von Ökologen und Ökonomen in der wissenschaftlichen Politikberatung sein kann, verdeutlicht ein Zitat des Harvard-Absolventen und heutigen Ökologieprofessors David Ehrenfeld. Ehrenfeld forderte 1992 im Zuge der Konvention zur Biologischen Vielfalt (CBD), Naturschutz solle grundsätzlich „außerhalb des schlüpfrigen Terrains der Wirtschaftswissenschaftler und ihrer philosophischen Verbündeten“ stehen. Natur sei schließlich etwas, was einen Wert „an sich“ besitze. Sie ökonomisch zu bewerten sei der „Gipfel der anmaßenden Verrücktheit“. So oder ähnlich formulieren es nach wie vor viele dem Naturschutz verpflichtete Ökologen.
Doch warum haben Ökonomen bei Naturschützern ein so schlechtes Image? In vielen Fällen dürfte es daran liegen, dass „das Ökonomische“ mit bestimmten Inhalten assoziiert wird, die sich in direkter Gegnerschaft zur Natur befinden: der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, dem Streben nach Profit auf Kosten natürlicher Lebensräume und vielem mehr.
Eine solche naive Sicht der Dinge wird der Ökonomik als wissenschaftlicher Disziplin natürlich nicht gerecht, denn tatsächlich behandelt sie im Kern die Frage, wie der rationale Umgang mit knappen und wertvollen Ressourcen gestaltet werden soll. Was ist Natur anderes als eine knappe und wertvolle Ressource? Die Frage, wie Natur genutzt werden soll, ist deshalb eine zutiefst ökonomische Frage. Das Missverständnis, das daraus aufseiten der Naturschützer entsteht, besteht darin, dass sie Nutzung mit dem Gebrauch von Natur für wirtschaftliche Zwecke, das heißt für die Produktion von Gütern, gleichsetzen.
Martin Weitzman, ein bekannter amerikanischer Ökonom, hat, vermutlich ohne es zu wollen, mit einem inzwischen berühmt gewordenen Zitat dieses Missverständnis kräftig unterstützt. Weitzman befand, „am Ende des Tages werden uns alle redlichen Gespräche über nachhaltige Entwicklung nicht davor bewahren, entscheiden zu müssen, wie viele Kinderkrankenhäuser wir im Namen der Erhaltung natürlicher Habitate opfern wollen.“ Die Botschaft, die dieses Zitat transportieren soll, besteht in dem Hinweis, dass es bei der Entscheidung darüber, wie wir mit Natur umgehen, immer darum geht, über eine elementare Verwendungskonkurrenz zu entscheiden. Naturschutz schließt die Verwendung eines Biotops als Standort für vom Menschen fabrizierte Dinge aus – egal ob es sich dabei um eine Fabrik, eine Autobahn oder ein Kinderkrankenhaus handelt. Wann immer über den Umgang mit Natur entschieden wird, kommt es zu einer Abwägung unterschiedlicher Verwertungsalternativen.
Der eigentliche Unterschied zwischen der ökonomischen und einer nicht selten anzutreffenden ökozentrischen Sicht besteht darin, dass Ökonomen darauf bestehen, dass diese Abwägung und Bewertung explizit erfolgen soll und alle Verwendungsalternativen einschließen muss, während Naturschützer häufig so tun, als sei die Bewertung der Alternativen nicht nötig, weil der Naturerhalt per se Vorrang habe. Während Ökonomen den Naturerhalt oder den Naturschutz als eine mögliche Form der „Nutzung“ natürlicher Ressourcen betrachten, ist er für einige politisch besonders aktive Ökologen die einzig mögliche.
Das Weitzman-Zitat ist deshalb geeignet, Missverständnisse zu erzeugen, weil es nur in eine Richtung weist. Der Naturschützer könnte die Sache aber mit allem Recht umdrehen, und das klänge dann so: „Am Ende des Tages werden uns alle redlichen Gespräche über die Wohlfahrt des Landes nicht davor bewahren, die Frage beantworten zu müssen, wie viele Habitate wir im Namen des wirtschaftlichen Wachstums opfern wollen.“ Beide Formulierungen sind berechtigt, denn sie beleuchten letztlich nur die beiden Seiten ein und derselben Medaille.
Wenn zwischen alternativen Verwendungen natürlicher Ressourcen ausgewählt werden soll, dann ist das nur möglich, wenn diese Alternativen bewertet werden können. An dieser Stelle tut sich ein weiterer tiefer Graben zwischen Ökonomen und Naturschützern auf. Letztere bestehen darauf, dass eine Bewertung von Natur nicht möglich ist. Erstere machen darauf aufmerksam, dass jede Entscheidung über den Umgang mit Natur notwendigerweise eine Bewertung enthält. Die ökonomische Bewertung von Natur bedeutet nicht, dass Ökonomen Preisschilder auf Bäume kleben, sondern, dass sie die Preisschilder, die ohnehin bereits existieren, sichtbar machen. Für den Naturschutz dagegen steht das Existenzrecht natürlicher Dinge ohnehin außer Frage und ist viel zu erhaben, um sich in Konkurrenz zu irgendwelchen anderen Rechten oder Ansprüchen zu begeben. Dahinter steht letztlich eine naturrechtliche Position, in der der Mensch keine Rolle spielt. Aber das ist natürlich eine Illusion. Es ist logisch nicht möglich, vom Menschen unabhängige Bewertungen vorzunehmen, und philosophisch ein alter Hut, dass nur der Mensch in der Lage ist, Werte zu benennen, die für Menschen eine unmittelbare Verbindlichkeit erlangen. Wenn Natur vor dem Menschen geschützt wird, dann nur deshalb, weil Menschen entschieden haben, dass der Naturerhalt einen höheren Wert hat als jeder Gebrauch von Natur. Man kann der Natur einen Wert an sich beimessen, aber man darf nie unterschlagen, dass dies eine menschliches Werturteil ist, das für sich genommen nicht mehr Recht auf Gültigkeit beanspruchen kann als andere menschliche Urteile über den Gebrauch von Natur.
Es geht um den rationalen Umgang mit einer knappen und wertvollen Ressource. Das ist der ökonomische Aspekt des Naturschutzes und der Biodiversitätsproblematik. Die Bundesregierung versucht mit der „Business and Biodiversity“-Initiative, den Artenschutz mit dem Privatsektor zu versöhnen. Insbesondere die durch industrielle Ausbeutung offenbarten ökonomischen Werte eines natürlichen Genpools können nur dann genutzt werden, wenn dieser Pool auch existiert. Damit wird gewissermaßen der Markt vor den Karren gespannt, um den Artenschutz zu fördern: Schaut her, es macht Sinn, den Regenwald zu erhalten, weil man später mit dessen Genmaterial nützliche Dinge anfangen kann, die für uns Menschen einen hohen Wert haben können. Dieser Versuch ist zu begrüßen, denn er verdeutlicht, dass eine ökonomische Herangehensweise an die Biodiversitätsproblematik die Verschmelzung von Naturnutzung und Naturschutz zulässt. Leider ist die Harmonie zwischen den Verwendungsalternativen natürlicher Ressourcen nur selten so ausgeprägt. In den Fällen, in denen sie nicht existiert, muss es darum gehen, die konkurrierenden Ansprüche gleichberechtigt und weise gegeneinander abzuwägen. Kein leichtes Unterfangen, aber dann ein lösbares Problem, wenn Ökonomen und Ökologen zusammenarbeiten – ein Grund mehr, die beiden endlich miteinander zu versöhnen.
JOACHIM WEIMANN SÖNKE HOFFMANN
Fotohinweis:Joachim Weimann leitet den Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik an der Uni Magdeburg. Gerade ist sein Buch „Die Klimapolitik-Katastrophe. Deutschland im Dunkel der Energiesparlampe“ erschienen. Sönke Hoffmann promoviert an der Uni Magdeburg über den ökonomischen Aspekt von Biodiversität.