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Archiv-Artikel

Sanitäter belasten Notarzt

Ein Polizeiarzt und zwei Sanitäter setzten eine zwangsweise Brechmittelvergabe fort, als sich der Verdächtige nicht mehr regte. Der Dealer starb, die Sanitäter belasten nun den Notarzt, der sich an der Maßnahme nicht beteiligt hatte

Am dritten Verhandlungstag um den Brechmittel-Tod des Sierra Leoners Laya Condé haben zwei Rettungssanitäter schwere Vorwürfe gegen einen Notarzt erhoben. Den wegen fahrlässiger Tötung angeklagten Polizeiarzt Igor Volz hingegen versuchten sie während ihrer mehrstündigen Vernehmung am Montag vor dem Bremer Landgericht aus der Schusslinie zu bringen.

Am Morgen des 27. Dezember 2004 war ein Rettungsteam in das Bremer Polizeipräsidium gerufen worden. Vor Gericht erinnern sich die beiden Sanitäter an folgende Szenerie: Laya Condé lag mit Handschellen gefesselt auf einer Liege. Ihm war ein Brechsirup verabreicht worden, nun „zeigte er überhaupt gar keine Reaktion mehr“. Der gemessene Blutsauerstoffwert sei kritisch gewesen, habe sich jedoch zunächst wieder normalisiert.

Der kurz nach ihnen eingetroffene Notarzt Jörg Günter habe sich von der Maßnahme „distanziert,“ sagte ein Sanitäter. „Ihm hat ganz klar nicht gefallen, dass hier jemand zum Erbrechen gezwungen wurde.“ Dennoch habe er auf mehrfache Nachfrage des Polizeiarztes Volz keine deutlichen Einwände erhoben, dass Volz seine Maßnahme fortsetzte. Die beiden Sanitäter halfen dabei, einer reichte Volz Schüsseln mit Wasser, das dieser Condé über eine Nasensonde einflößte. Die Sonde sei immer wieder herausgerutscht und habe nachgelegt werden müssen. Schließlich regte Condé sich nicht mehr. Dann habe Volz Condés „Zäpfchen mit einer Pinzette stimuliert“, um weitere Würgereflexe zu provozieren. Aus Condés Mund sei ständig Flüssigkeit gelaufen. „Der ganze Boden war reichlich voller Wasser“, sagte der Sanitäter. Condé selbst sei derartig durchnässte gewesen, dass die Elektroden zur Messung der Herzfrequenz kaum an seinem Körper haften blieben.

Am Ende habe Condé „Schaum vor dem Mund“ gehabt. Seine Herzfrequenz rutschte „in den Keller“, zeitweise habe sein Herz völlig zu schlagen aufgehört, seine Pupillen „deuteten auf einen schweren Hirnschaden hin“ – Condés Lunge war voller Wasser gelaufen. Bis dahin habe der Notarzt Günter sich – offenbar aus Protest – nicht am Geschehen beteiligt, er habe sogar den Einsatz zwischendurch abbrechen wollen. Günther selbst hatte es vor zwei Wochen „einen Fehler“ genannt, Volz nicht an der Fortsetzung der Exkorporation gehindert zu haben. Er leide deshalb nun an Schuldgefühlen. Nach Aussage eines Sanitäters ist Günter bei der Übergabe Condés an ein Krankenhaus weinend aus der Notaufnahme gerannt.

Condé war an jenem Abend von einer Polizeistreife im Bremer Steintorviertel aufgegriffen worden. Die Polizisten verdächtigten ihn, Kokain verschluckt zu haben und ordneten deshalb die Brechmittelvergabe an. Condé fiel ins Koma und starb am 7. Januar auf der Intensivstation des St.-Joseph-Krankenhauses. Der Prozess wird am 15. Mai fortgesetzt. CHRISTIAN JAKOB