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Zulässige Aussage getätigt

Gericht urteilt: Die Homosexuellen-Arbeit des evangelikalen Vereins „Wüstenstrom“ darf als „Umpolen“ bezeichnet werden. Gegenstand war die Berichterstattung eines Bremer Journalisten über das dortige Christival

Die einstweilige Verfügung, die Eckhard Stengel wegen seiner Berichte über das Bremer „Christival“ kassiert hat, ist von einem Gericht aufgehoben worden. Nun darf der freie Journalist aus Bremen wieder behaupten, was er wörtlich und sinngemäß am 17. März in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung über den evangelikalen Verein „Wüstenstrom“ geschrieben hatte; dieser hatte beim Christival ein Seminar angeboten. Motto des Vereins, schrieb Stengel, sei: „Wer unter seiner homosexuellen Neigung leidet, braucht Hilfe – aber nicht etwa, indem er bestärkt wird, sein Wesen zu akzeptieren, sondern indem er umgepolt werden soll.“

Die 3. Zivilkammer des Frankfurter Landgerichts hatte dem Stengel am 8. April diese Äußerungen untersagt – ohne die Argumente des 53-Jährigen anzuhören. Am Donnerstag hob dieselbe Kammer unter dem Vorsitzenden Richter Frowin Kurth die einstweilige Verfügung nun auf. Die Meinungsäußerung habe „die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten“ und sei deshalb zulässig. Journalisten dürfen somit christlich geprägte „Therapien“ als „Umpolen“ bezeichnen, wenn sie anstreben, Homosexuelle zur Heterosexualität zu orientieren.

Der Kläger Markus Hoffmann, Vorstandsvorsitzender von Wüstenstrom, habe am Wort „Umpolen“ Anstoß genommen, sagte der Vorsitzende Richter. Eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte sei in Betracht zu ziehen gewesen. Aufgrund der präzisen Hintergrundrecherche, die Stengel und seine Anwältin Eva Dworschak der Kammer zur Verfügung gestellt hatten, hatte dort jedoch ein Meinungswandel stattgefunden. Richter Kurth resümierte, wer alles außer dem Journalisten aus Bremen das Wort „Umpolen“ für angemessen hält: Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hatte am 17. Juni 2007 unter der Überschrift „‚Umpolen‘ in Deutschland“ über Wüstensturm berichtet. Die Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) hatte die Vereins-Aktivitäten unter der Überschrift „Bejahung statt Umpolung“ kritisiert. Selbst im Bundestag sei davon die Rede gewesen. Das Wort wiederhole sich in mehreren Veröffentlichungen.

Angesichts dieser Faktenlage stellte sich das Gericht nun die Frage, ob es sich beim „Umpolen“ nicht um eine Tatsache handele. Wenig beeindruckt zeigten sich die Richter, als die Anwältin des Vereins, Yvonne Kleinke, darauf insistierte, das Beratungsangebot von Wüstenstrom sei „ergebnisoffen“: Der Verein verwahre sich gegen den Eindruck, er wolle jeden Hilfe suchenden Homosexuellen verändern.

Wie das denn miteinander einhergehen könne – „einerseits überall schriftlich die Veränderung Homosexueller zu propagieren, sie andererseits aber in ihrer Neigung bestärken zu wollen“, fragte die beisitzende Richterin Regina Zöller-Mirbach.

Eckhard Stengel selbst erklärte, ihm sei erheblicher Schaden entstanden. Er habe nicht mehr über den Verein Wüstenstrom berichten können, dadurch sehe er die Pressefreiheit infrage gestellt. Der Verein habe versucht, eine öffentliche Debatte über seine umstrittene Arbeit zu vermeiden. Statt das Gespräch zu suchen, habe Wüstenstrom gleich eine anwaltliche Unterlassungsaufforderung geschickt – mit beigelegter Rechnung über 661,16 Euro.

Stengels Anwältin Eva Dworschak wiederum konstatierte, Hauptziel des Vereins sei, auf Heterosexualität hin zu orientieren. In einer Broschüre des Vereins heiße es: „Gleichgeschlechtliche Sexualität ist Sünde“. Das Wort „Umpolen“, so Dworschak, treffe den Nagel auf den Kopf. GITTA DÜPERTHAL

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