: Saaten für die Vielfalt
Alte Sorten sind ihre Passion. Gesichter der gentechnikfreien Saatgutarbeit
In Deutschland, Österreich und der Schweiz wächst die Lust auf alte Gemüsesorten; viele davon werden gerade erst wieder entdeckt. Gleichzeitig schaffen es immer mehr neue, ökologisch gezüchtete Sorten in den Handel. Samen dafür bieten die Mitglieder der Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit, ein Zusammenschluss von Züchterinnen und Züchtern, die neue Sorten erzeugen, Saatgutvermehrer und -vermehrerinnen sowie Erhaltungsorganisationen, die alte Sorten wieder in die Nutzung bringen.
Die Basis für Vermehrung
Ute Kirchgässer ist Gärtnerin in der Lebensgemeinschaft Bingenheim. Als Erhaltungszüchterin und Mitglied im Verein Kultursaat e. V. kümmert sie sich um 21 Gemüsearten. Das heißt, sie baut eine Sorte, zum Beispiel den Blumenkohl „Neckarperle“, so an, dass er seine Eigenschaften behält. Das Elitesaatgut bekommen dann die Vermehrer, die Saatgut für den Handel erzeugen. Im Januar oder Februar sät sie Blumenkohlsamen aus und zieht Jungpflanzen an. Nach sechs bis acht Wochen pflanzt sie diese ins Gewächshaus. Bis zum Blumenkohl, wie er als Gemüse geerntet wird, entwickeln sie sich meistens gut. Mit Kennerblick wählt Ute Kirchgässer dann die Pflanzen aus, die am besten dem Sortenbild der Neckarperle entsprechen, und markiert sie. Schlecht gewachsene Pflanzen und solche, die kaum der gewünschten Sorte entsprechen, reißt sie aus.
Viel Fingerspitzengefühl ist bis zur Blüte im Juli gefragt: Der Blumenkohl kann anfangen zu faulen und muss angebunden werden, weil seine Triebe bis zu eineinhalb Meter hoch werden. Ständig muss auf Läusebefall kontrolliert werden. Wenn alles gut läuft, kann der Samen der markierten Pflanzen im September geerntet werden. Wenn der Blumenkohl jedoch nicht blüht, können im Herbst Stecklinge aus den Trieben genommen und eingepflanzt werden. Von ihren Seitentrieben können zumindest im nächsten Jahr Samen geerntet werden.
Lebendiges Sortenarchiv
Dem Erhalt von fast 6.000 Sorten und Herkünften widmet sich die Arche Noah (Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt und ihre Entwicklung) aus Österreich. In der Schweiz erhält die ProSpecieRara über 2.000 Sorten, davon 800 Gemüsesorten. In Deutschland pflegen der VEN 2.000 Sorten und der Dreschflegel e. V. etwa 600 Sorten. Möglichst viele werden genutzt und dadurch auf eine lebendige Weise in Garten und Feld erhalten.
Birgit Vorderwülbecke ist die Leiterin des Arche-Noah-Sortenarchivs. Mit drei weiteren Gärtnerinnen und zahlreichen PraktikantInnen vermehrt sie Sorten aus dem Archiv in den Gärten der Arche Noah, zum Beispiel Rote-Bete-Sorten. Da Rote Bete ihre Samen erst im zweiten Jahr bildet, pflanzen die Gärtnerinnen die Rüben im Frühjahr wieder aus. Die Blüten werden vom Wind bestäubt. Verwandte wie Mangold oder Zuckerrüben dürfen in kilometerweiter Nachbarschaft nicht wachsen, denn ihr Pollen könnte mit dem Wind hergeweht werden und die Rote Bete befruchten.
Die Ernte der Samenknäuel beginnt ab Mitte September, je nachdem wie feucht oder trocken der Herbst ist. „Gentechnisch veränderter Zuckerrübenanbau stellt für uns eine große Gefahr dar, da direkte Einkreuzungen von Zuckerrüben in Rote, Weiße oder Gelbe Beten möglich sind“, warnt Birgit Vorderwülbecke. „Ein unerkannter gentechnisch veränderter Samen, der zur Blüte kommt, kann die Ernte eines ganzen Jahres vernichten. Im wiederholten Falle kann dieses bis zum Verlust einer seltenen Sorte führen. Das steht im krassen Gegensatz zum Ziel, die Biodiversität zu erhalten und zu entwickeln.“
Züchten für die Vielfalt
Am Beispiel der schweizerischen Sativa Rheinau AG wird deutlich, wie vernetzt die Saatgutinitiativen sind. Die Sativa züchtete und vermehrt Saatgut für Erhaltungsorganisationen wie die ProSpecieRara, für den Handel und für Züchter. Für acht neue Zuckermaissorten haben Züchter Friedemann Ebner und sein Team im vergangenen Jahr 70.000 Maispflanzen angebaut. Einzelne Kolben, die von Hand bestäubt wurden, wachsen in Tüten und werden getrennt von den anderen geerntet. Von diesen Kolben kennt Friedemann Ebner beide Eltern. Sorgfältig werden die Maiskolben „entliescht“, sagt Friedemann Ebner und meint damit, dass er die Hüllblätter von den Maiskolben entfernt. Wenn die Kolben nach einigen Wochen getrocknet sind, schaut er sich jeden Kolben einzeln an und prüft, ob er Körner anderer Färbung oder Form erkennt, in die eine ungewollte Maissorte, beispielsweise Futtermais, eingekreuzt ist. Mit einem Messer pikst er ungewollte Körner heraus. Erst dann werden die Maiskolben gedroschen. Anschließend werden die Körner gereinigt, Kümmerkörner entfernt, nachgetrocknet und bis zur Aussaat im nächsten Jahr eingefroren, um sie vor Motten und Milben zu schützen.
Saatgut weitergeben
Der Verein zu Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN) aus Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, möglichst viele aus dem Handel genommene und vom Verschwinden bedrohte Sorten, aufzuspüren und zu erhalten. Sie werden von zahlreichen SortenpflegerInnen in ihren Gärten unter ökologischen Bedingungen vermehrt. „Häufig sichten wir auch alte Sorten aus Genbanken und bringen sie wieder in die Nutzung“, berichtet Ursula Reinhard, die Vorsitzende des VEN, und fordert, dass Versuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen in Genbanken gestoppt werden. „Die Genbanken müssen auf verlässliche Weise sicherstellen, dass die von ihnen abgegebenen Saatgutproben garantiert gentechnikfrei sind.“
Ursula Reinhard hat in den letzten Jahren 120 Bohnensorten gesichtet und 50 davon für eine Bohnenaktion während der Vielfaltskonferenz ausgewählt. In Schandelah war der letzte Winter entsprechend farbenfroh. „Wie ein Adventskalender ist das Auspalen der Bohnen“, finden Ursula Reinhard und Juliane Helmholz vom VEN. „Knack macht es, und aus jeder Schale kommen Bohnen mit einem eigenen Reiz. Jede ist wunderschön, ob reinweiß, lindgrün, rosa-, weinrot, violett, in unzähligen Braunvarianten oder tief schwarz getönt. Viele schmücken sich mit Punkten und Streifen. Manche haben einen feinen Glanz, andere sind rustikal und solide.“
Portionsweise breiten sie die bunten Bohnen aus. Sie müssen noch weiter trocknen, ehe 50.000 Bohnen in 5.000 Tüten gesteckt und auf der 9. Vertragsstaatenkonferenz verteilt werden. Mit der Aktion will der VEN die Vielfalt der Bohnensorten bekannt machen und Paten gewinnen, die in ihren Gärten die alten Bohnensorten nachhaltig und sicher erhalten, indem sie sie nutzen. SIGRID HERBST