Distanz zur Demokratie

Niedersachsens Linke sehen sich als Partisaneneinheit: In einem internen Papier halten die Parteispitzen Urnengänge für „Soaps“. Gleichzeitig geben sie zu, das Wahlvolk vor der Landtagswahl am 27. Januar ausgetrickst zu haben

Von den elf Abgeordneten der Linkspartei gehören für Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sechs „extremistischen“ Gruppierungen an. Deshalb werde die Partei weiterhin vom Verfassungsschutz beobachtet. Dazu gehören Ex-Mitglieder der DKP wie Fraktionschef Manfred Sohn oder der Justiz-Experte Hans-Henning Adler, aber auch der Sozialpolitiker Patrick Humke Focks, der laut Schünemann Mitglied der autonomen Göttinger „Roten Hilfe“ ist. Der deutsch-italienische Links-Abgeordnete Victor Perli wunderte sich jüngst im Landtag, warum er als angeblicher Extremist die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten habe. Zum Eklat kam es, als er ein T-Shirt mit dem Bild von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und der Aufschrift „Stasi 2.0“ ausziehen musste.  TAZ

VON KAI SCHÖNEBERG

Dietmar Bartsch, Bundesgeschäftsführer der Linken, wütete über die „Unverschämtheit“. Zuvor hatte CDU-Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gestern die Beobachtung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz damit gerechtfertigt, dass nach wie vor „offen extremistische Kräfte“ in der Linken wirken. Ob das auch für die niedersächsische Linken gilt, untersucht der Verfassungsschutz des Landes. Intern äußern Führungskräfte der Partei Distanz zu demokratischen Gepflogenheiten.

Fraktionschef Manfred Sohn und der Landespartei-Vorsitzende Diether Dehm halten Wahlen für „bürgerliche Veranstaltungen“. Gleichzeitig geben sie in einem internen Papier zu, das der taz vorliegt, vor der Landtagswahl am 27. Januar ihre Wähler mehrfach getäuscht zu haben.

Während etablierte Parteien vom „Hochamt der Demokratie“ sprechen, meinen Dehm und Sohn, Wahlkampf habe für sie etwas von einer „Soap“, einer Fernseh-Seifenoper. Das Streiten um Stimmen ist „für Die Linke immer auch etwas wie Betreten feindlichen Terrains“, schreiben sie unter der Überschrift „Philosophieren über einen Wahlerfolg“ zwei Wochen nach der Wahl. „Ich zweifele, ob ich das weiter so sagen würde“, sagte Sohn am Donnerstag zur taz.

Die Linke, für Dehm und Sohn in Niedersachsen eine „Partisaneneinheit“, die sich nur „gegen gegnerische Medien“ zu behaupten hatte, war am 27. Januar überraschend auf 7,1 Prozent der Stimmen gekommen. Zuvor hatte der Musikmanager Dehm verzweifelt nach Zugpferden gesucht, die in Niedersachsen kandidieren sollten. „Aber sich den Ruf beschädigen und womöglich dann doch nicht in den Landtag kommen“, wollte niemand, da die Partei 2007 in „politisch motivierten Umfragen“ bei drei Prozent dümpelte.

Da sich nach „30 Promigesprächen“ vor der Wahl keine bekannte Persönlichkeit habe gewinnen lassen, habe man im Wahlkampf schlicht zu einem „Trick“ gegriffen, schreiben Dehm und Sohn: „Wir taten so, als sei es eine Art von kleiner Bundestagswahl und plakatierten auch bundesweit anstehende Themen“. Landespolitik spielte in der Kampagne kaum eine Rolle.

Durch eine weitere taktische Volte habe es die Linke zudem vermieden, sich vor der Entscheidung für oder gegen eine Regierungsbeteiligung in einer möglichen rot-rot-grünen Koalition aussprechen zu müssen: „Wir wussten einerseits, dass 70 Prozent unserer Wähler eine engere Kooperation mit Rotgrün wünschen, aber 70 Prozent unseres Kaders das komplette Gegenteil. Das hätte uns so auseinander gerissen wie anfänglich die Hessen“, erläutern Dehm und Sohn.

Allerdings habe sich die Partei in Niedersachsen mit dem Verweis auf den „Ratschlag“ der Linken zwei Tage nach der Wahl „wunderbar aus der Schlinge ziehen“ können. Bei dieser Veranstaltung sollten Vertreter von Sozialverbänden, Antiatom- oder Friedensinitiativen über das weitere Vorgehen der Linken entscheiden. Nur so sei man „um eine von den Medien forcierte alternative Dogmatik“ herum gekommen, „der Versuch, uns zu spalten, ging ins Leere“.

„Das ist eindeutig ein Binnenaufsatz“ an die Parteimitglieder, erklärt Sohn seine schriftlichen Ausführungen. Er habe sich nicht abwertend über Wahlen äußern wollen: Die stark gesunkene Wahlbeteiligung hält er für ein „großes Übel“, weil sie ein „Gemeinwesen destabilisiert, dass ich für verteidigenswert halte, solange es nichts Besseres gibt“. Zudem gehöre „ein bisschen Tricksen zu jedem ordentlichen Spiel“, sagt der Fraktionschef zur Wahlstrategie der niedersächsischen Linken. Die Regierungsbeteiligung habe für ihn bei seiner Kandidatur „keine Rolle“ gespielt, betont Sohn. „Entscheidend ist doch das, was sich auf der Straße tut“. Deshalb der „Ratschlag“.

Es spreche nicht für Dehm und Sohn, wenn sie sich „ihrer Tricks und Wählertäuschungen rühmen“, sagt der parlamentarische SPD-Geschäftsführer Heiner Bartling. Die Linke offenbare mit dem Schreiben „mindestens ein seltsames Verständnis von demokratischen Wahlen“.

Der „Aufsatz ist dreist und offenbart die wahre Gesinnung der Kommunisten“, wütet CDU-Fraktionschef David McAllister. Wieder einmal zeige sich, dass die Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz „absolut berechtigt ist“.