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Archiv-Artikel

„Pst! Haben Sie gehört?“

Wechseljahr 2008 (16): Wie fühlt sich Amerika? Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation

George W. Bush steht vor der Knesset zum Anlass des sechzigsten Jahrestags der Gründung Israels und macht eine indirekte – aber höchst deutliche – Anspielung auf Barack Obama. Bush versucht, Obama darzustellen als jemanden, der mit Terroristen verhandeln würde und daher den amerikanischen und britischen Politikern ähnelt, die dereinst versucht haben, Adolf Hitler zu beschwichtigen – und naiverweise glaubten, dass, wenn sie ihm die Tschechoslowakei überließen, er die Finger vom Rest des Kontinents lassen würde. Später leugnete Bush, dass sein Hinweis auf Obama gemünzt war. John McCain aber zögerte keinen Augenblick und forderte, Obama solle erklären, „warum er willens ist, sich hinzusetzen und zu reden“ mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad – das derzeit in den USA am häufigsten bemühte Feindbild.

Zum Glück rückten die Demokraten – ausnahmsweise – zusammen. Senator Joseph Biden nannte Bushs Worte „lächerliche Heuchelei“ sowie (noch direkter) „Scheiße“. Hillary Clinton sprach dezenter, aber ebenfalls unmissverständlich: Bushs Bemerkungen seien „widerlich“ und „haarsträubend“.

Es geht aber um viel mehr als darum, Obama als schwach und gefährlich für die US-Außenpolitik darzustellen. Es geht um die jüdischen Wähler. Ist Obama „gut für die Juden?“ (eine Frage, die bei vielen politischen Anlässen unter amerikanischen Juden mal mit selbstkritischer Ironie, mal mit intensivstem Ernst gestellt wird).

Schon seit Tagen gab Obama Interviews. Er erzählte von seiner Identifikation, schon als Kind, mit dem Gefühl der Entwurzelung, seiner starken Sympathie mit den sozialen, an Gerechtigkeit orientierten Impulsen der frühen Zionisten, seiner Prägung durch jüdische Schriftsteller, seine Trauer über die Entzweiung von Juden und Schwarzen und – immer wieder – seine emotionale Affinität zu Israel und seine Verpflichtung, die Stärke und Sicherheit des Landes zu erhalten. Er gab differenzierte Kommentare zur Situation in Nahost, bemerkend, dass die Palästinenser eindeutig ihren eigenen Staat brauchen, dass die Siedlungen nicht dem Friedensprozess behilflich sind – aber auch, dass Israel selbstverständlich das Recht auf Selbstverteidigung hat.

Aber McCains wiederholt verbreitete These, dass die Hamas überglücklich wäre, wenn Obama die Wahl gewänne, hat bei vielen Juden Zweifel gesät.

Umso wichtiger war die ausgleichende Intervention des Journalisten Thomas Friedman, wahrscheinlich der einflussreichste jüdisch-amerikanische Kommentator zu außenpolitischen Themen. Clever leitete er seine New-York-Times-Kolumne zum Thema „Obama und die Juden“ mit dem negativen Geflüster ein, das er unter Obama-skeptischen Juden vernimmt: „Pst! Haben Sie gehört?“

Obama sei für ein Ende der „Besatzung“ (ein Wort, das manche Israelfreunde schon als Affront sehen). Obama wäre der Meinung, ein Palästinenserstaat sei „überfällig.“ Der Witz? Die Zitate stammten von niemand anderem als George W. Bush.

DAGMAR HERZOG, geboren 1961, Historikerin, forscht unter anderem zum Aufstieg der religiösen Rechten in den USA