Tödliches Ende eines Fluchtversuchs

Im südfranzösischen Draguignan erschießt ein Gendarm einen Festgenommenen. Richter: keine Tötungsabsicht

PARIS taz ■ Sieben Schüsse hat ein Gendarm in Draguignan aus dem Fenster seiner Wache abgefeuert. Drei Kugeln erreichen ihr Ziel. Eine ist fatal. Sie trifft den 27-jährigen José Guardener in die Brust. Er fällt von dem Baum, auf den er sich geflüchtet hat, auf den Boden. Und stirbt.

Die Jagdszene an der Polizeiwache in der südfranzösischen Stadt spielte sich am Freitagabend ab. Der Schütze gilt bei Kollegen als „erfahrener“ und „besonnener“ Polizist. Das Opfer lebte in einem Lager in der Nähe von Draguignan. Es stammt aus der Gemeinschaft der „Fahrensleute“, wie Sinti, Roma und Manouch in Frankreich politisch korrekt genannt werden. Der Mann hinterlässt drei kleine Kinder sowie einen langen Lebenslauf von Delikten.

Am Tag vor seinem Tod hatte sich José Guardener zu einer Routinekontrolle wegen eines länger zurückliegenden Deliktes bei der Polizei eingefunden. Auf der Wache wird er festgenommen und eines neuen Delikts beschuldigt: bewaffnete Erpressung eines Lkw-Fahrers. Laut der polizeilichen Version des Geschehens gestattet ein Polizist ihm am nächsten Tag eine Zigarettenpause zwischen zwei Verhören. Dazu löst er eine Fessel an José Guardeners Fuß und begleitet den Gefangenen, der Handschellen trägt, auf einen Treppenabsatz in der Wache. Als dort das Licht ausgeht, reißt José Guardener eine Hand aus der Schelle, verliert dabei einen Daumen, springt durch ein Fenster in knapp fünf Meter Höhe aus der Wache, klettert über eine Mauer und läuft davon. Der Polizist eröffnet das Feuer auf den Flüchtenden.

„Mein Bruder hat in der Vergangenheit ziemlich viele Dummheiten gemacht“, sagt am Tag nach dem Tod von José Guardener eine seiner Schwestern, „aber die Polizei hatte kein Recht, auf ihn zu schießen.“ Sie ist mit Dutzenden anderer Angehöriger zu einer Demonstration nach Draguignan gekommen. Nachdem drei Polizeiautos in Flammen aufgegangen sind, marschiert dort Verstärkung aus benachbarten Polizeikasernen auf. Der Todesschütze wird an einen anderen Ort hinter Gitter gebracht. Die Innenministerin Michèle Alliot-Marie sorgt für seine Dienstsuspendierung und veranlasst eine interne Untersuchung in der Gendarmerie. Und der Staatsanwalt nimmt Ermittlungen auf wegen „vorsätzlicher Tötung“. Als zusätzlich die Angehörigen die Erlaubnis erhalten, ihren Toten in der Leichenhalle zu sehen, lässt die Spannung in der Stadt ein wenig nach.

Schon wenige Stunden später und nachdem die staatsanwaltliche Qualifizierung der Schüsse als „vorsätzliche Tötung“ für Unruhe in den Reihen der französischen Polizei und Gendarmerie gesorgt hat, mildern zwei Untersuchungsrichterinnen den Vorwurf ab. Seit Sonntag ermitteln sie nur noch wegen „tödlicher Schüsse“. Eine Tötungsabsicht sehen sie nicht als erwiesen an.

Am Montag erklärt Lionel Escoffier, Anwalt des Todesschützen in Uniform, dass sein Mandant die „üblichen Regeln“ im Waffengebrauch angewandt habe: Der Gendarm hatte die innere Überzeugung, dass es eine absolute Notwendigkeit gab, seine Waffe zu benutzen.

DOROTHEA HAHN