piwik no script img

Archiv-Artikel

Ein Nadelöhr soll weg

Ausbaupläne für einen Kanal sorgen für Parteienstreit in Hannover. 220 Millionen Euro sollen in eine Elf-Kilometer-Wasserstraße fließen, auf der täglich zwei Schiffe fahren

VON KAI SCHÖNEBERG

Es ist nur ein Worst-Case-Szenario der Planer. Dennoch waren die Häuslebauer in der Dieselstraße im hannoverschen Stadtteil Limmer schockiert, als sie es eines Morgens aus der Zeitung erfahren mussten: Ihre schmucken Reihenhäuser könnten dem Ausbau einer Schleuse zum Opfer fallen. Dabei hatten sie erst vor acht Jahren die Genehmigung zum Bauen erhalten. Der Schleusenausbau „richtet unsere gemeinsame Lebensplanung sozial und finanziell zugrunde“ schreiben sie in einem öffentlichen Brandbrief. Die Baumaßnahme ist dabei nur ein Teil eines Riesenprojekts, und das versetzt nicht nur die Leute in der Dieselstraße in Unruhe.

Schon seine Abkürzung ist ein Ungetüm, aber darauf nimmt das ÜGMS, das „übergroße Großmotorgüterschiff“ keine Rücksicht: 135 Meter ist es lang, und in der Binnenschifffahrt geht nichts mehr ohne ÜGMS, sagen seine Befürworter. Sie sagen auch, dass es in Hannover für das ÜGMS ein Nadelöhr gibt: den Lindener Stichkanal.

Derzeit ist der elf Kilometer lange Wasserweg vom Mittellandkanal zum Hafen in Hannover-Linden noch ein Idyll für Schwimmer, Radfahrer, Jogger, Kanuten und Freizeit-Kapitäne. Aufgrund uralter Beschlüsse soll der Kanal für insgesamt 220 Millionen Euro zur Wasserrennstrecke für die ÜGMS-Lastkähne verbreitert und die Schleuse verlängert werden. Dabei stagniert der Güterumschlag im Lindener Hafen seit zehn Jahren – trotz Ausbau. Derzeit tuckern hier pro Tag gerade mal zwei Schiffe Richtung Hafen, nach der Kanal-Erweiterung sollen es drei sein.

„Das geht zu Lasten von Bau- und Industriedenkmalen, weiteren Häusern, einem Restaurant, einem Kinderheim, zehn schönen Brücken und umfangreichen Naturräumen“, sagt Anja Niezel von der Sanierungskommission, einem mit Politikern und Experten besetzen Ratsgremium. Niezel sieht auch die Umwandlung der alten Continental-Reifenfabrik zum Wasserwohnparadies und andere Projekte gefährdet. Sie ist mit ihren Sorgen nicht allein: Am Montag hat sich eine Bürgerinitiative gegen den Ausbau gegründet, am heutigen Freitag ist der Millionen-Kanal Thema in einem Ratsausschuss.

Es ist der alte Konflikt: Beton gegen Grün, Zukunftsbeschwörer gegen Mahner, Planer gegen Bewahrer. „Ich kann doch nicht an der Autobahn ein Haus bauen und nachher fordern, die Betonpiste muss weg“, sagt Wilfried Engelke. Der FDP-Ratsherr und Aufsichtsratschef der hannoverschen Häfen versteht die Ängste am Stichkanal: „Aber sie haben damals nicht an einem hübschen Bächlein, sondern an einer Bundeswasserstraße gebaut.“ Er hat keinen Zweifel daran, dass ausgebaut wird, und das vielleicht schon ab 2012. Noch stehe der Kanal „im Bundesverkehrswegeplan irgendwo“, sagt er. „Aber das werde ich ändern.“

Ohne ÜGMS wären die 4.000 Jobs, die am Hafen hängen, auf lange Sicht weg, sagt auch Hafenchef Jürgen Schulz. „Wenn wir den Firmen im Hafen durch den Ausbau keine Perspektive geben, ist das ein Tod auf Raten“, führt er aus. „Der gesamte Gewerbe- und Industriestandort wäre in Frage gestellt.“ Hafenaffine Firmen? „Das ist doch Quark“, entgegnet SPD-Ratsherr Jürgen Mineur. Von den 30 Unternehmen im Hafen bräuchten nur drei einen Wasseranschluss, vor allem das Öllager. Aber „die könnte man auch auf einen der drei anderen Häfen in Hannover verlagern“, sagt Mineur. Ihn ärgert, dass die städtische Hafengesellschaft bis zum Herbst ein Gutachten vorlegen soll, um die Notwendigkeit des Ausbaus zu überprüfen. Dabei profitiere vom Projekt doch einzig die Hafengesellschaft. „Wir brauchen ein unabhängiges ergebnisoffenes Fachgutachten, keine Gefälligkeitsstudie“, sagt der Ratsherr. Das ist nicht Gemeingut im rot-grün dominierten Stadtrat. „Das mit dem Gefälligkeitsgutachten ist eine Unterstellung“, sagt SPD-Wirtschaftsexperte Martin Hanske. „Linden ist ein Arbeiterstandort – und das soll auch so bleiben“, sagt er, und das andere Häfen sich schon freuten „auf die Arbeitsplätze aus Hannover, zum Beispiel Hildesheim“.

Die Verlagerung hannoverscher Jobs in Richtung Osteuropa befürchtet gar der grüne Bauexperte Michael Dette. Während die Linke den Lindener Hafen zur Anlegestelle für Yachten umfunktionieren will, ist Dette für einen möglichst umwelt- und menschenverträglichen Umbau: „Wir warten erst mal das Gutachten ab und verunsichern bis dahin die Leute nicht noch mehr.“