berliner szenen Schön schien die Sonne

Juni 2007

Unsicher standen wir auf dem Friedhof, neben der Kapelle. Einige allein; andere in Gruppen. Viele hatten sich jahrelang nicht mehr gesehen. In Blicken war das, was war, und manchmal auch, fast zärtlich, die Zeit, die man hätte miteinander verbringen können.

Manche umarmten sich. Früher hatten wir es schon fast als Grenzüberschreitung empfunden, wenn einem jemand die Hand gab. K. fragte, ob ich eine Camel-ohne hätte. Wir hatten immer Camel-ohne zusammen geraucht.

In der Kapelle war es ganz still. Wir spürten genau, wie die Zeit sich langsam fortbewegte. Kleine Geräusche spielten auf der Fläche des Schweigens, Stillsitzens; dies schwere Gefühl ja wirklich im Herzen; Erinnerungsbilder, die einander überlappten, ineinander übergingen.

Manche gingen nach vorne, wo die Urne stand, legten Blumen dorthin; andere hielten sich mit gesenktem Kopf an den Blumen fest, die sie hielten.

Ein kleines Zeichen wurde gegeben und beantwortet. Hinter dem Mann, der die Urne trug, gingen wir nach draußen, unter Bäumen, dann ins Freie. Ein Stau entstand vor dem Grab und löste sich wieder nach einer Weile; ein ungefährer Kreis bildete sich, sozusagen automatisch-natürlich. Ich schaute zu F.: Wie traurig waren unsre Augen, die für einen Moment 25 Jahre zurückblickten. Die Zeit verging.

Dann begann der Bestatter mit seiner Arbeit. Wir schauten ganz genau hin. Als schon etwas Erde auf der Urne lag, trat M. vor und legte eine Kassette ins Grab.

Dann setzte der Bestatter seine Arbeit fort. Wir hörten sein Schaufeln und wie die Erde ins Grab fiel. Und wie er den einzigen Satz noch sprach, der gesagt werden musste.

DETLEF KUHLBRODT