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Archiv-Artikel

Die Unschuld fährt mit

Weiße Autos sind ins Straßenbild zurückgekehrt. Ausdruck von neu ersehnter Reinheit oder pure Protzerei?

Bisher konnte man ungefähr sagen, wo man in letzter Zeit weiße Autos gesehen hatte: im Italienurlaub, in Spanien oder Indien, keinesfalls aber in Hamburg oder Berlin. Spätestens nachdem der gerne in Weiß gekaufte Fiat Uno 1993 aus der Produktion genommen wurde, war es mit Weiß auf deutschen Straßen vorbei. Was nur noch eine Farbe für Liefer- oder Krankenwagen war, ist plötzlich wieder Mode. Weiß – so lässt sich beobachten – ist das neue Schwarz.

An den Appeal weißer Laptops und MP3-Spieler haben wir uns gewöhnt. Schließlich signalisiert die unbefleckt schimmernde Hülle dieser Geräte in den meisten Fällen Markenqualität. Das weckte Begehrlichkeiten und die Sehnsucht nach dem Glanz, der vom Produkt auf den Benutzer abstrahlen sollte. Erstaunlicherweise galten trotzdem bis vor Kurzem selbst weiße Geschirrspüler und Kühlschränke als passé. Nun aber werden ganze Küchen in weißer Klavierlackoptik gekauft. Und weil Weiß wieder begehrenswert ist, wird uns auch in der Werbung das schneehell leuchtende Auto als ein sinnliches Objekt vermittelt, das unser Leben aufmotzt und in unser neues Farbschema passt. Der neue Scirocco röhrt aus der Ferne und schwenkt sich mit weißem Heck voran ins sowieso weiße Bild. Bei Alfa Romeo liefert sich ein weißes Cabrio ein Rennen mit einem roten Coupé gleicher Marke. Fiat lässt in Berlin einen Kleinwagen groß in Weiß plakatieren.

Dabei basiert die Rückkehr des weißen Vehikels auf einem Trugschluss. „Gesellschaftlich gesehen hat der neue Trend zu Weiß seine Wurzeln in der Suche nach neuen Werten“, beobachtet BASF-Coatings-Designerin Michaela Finkenzeller in der Auto Motor Sport. Weiß nämlich vermittelt das Gefühl von Reinheit und Leichtigkeit, von Sauberkeit und Unschuld. Genau das also, was wir im Straßenverkehr verloren haben.

Ein persilweißes Auto fährt dennoch leider nicht umweltverträglicher als ein schwarzes und stellt nicht weniger Parkfläche voll. Es ist auch nur marginal weniger gefährlich, und das auch nur deswegen, weil man es leichter sieht als ein dunkles. Mit dem leicht Sichtbaren sticht man eben aus der Masse hervor – und so lässt sich leichter protzen. Viel einfacher als in Schwarz.NATALIE TENBERG