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Archiv-Artikel

Mecklenburger Rüben-Kampf

DIE ZUCKER-QUOTE

Auf Drängen der Welthandelsorganisation WTO wird die Europäische Union den Markt zukünftig für Agrarprodukte aus der ganzen Welt öffnen. Damit die europäischen Bauern die Marktöffnung wirtschaftlich überstehen, erfolgt sie in mehreren Schritten. Einer davon ist die Zuckerquote. Hersteller, die ihre Produktion drosseln, erhalten von der EU eine Entschädigung von 640 Euro für jede Tonne Zucker. Die Bauern erhalten 40 Euro pro Tonne Rüben, die sie weniger anbauen. Um davon zu profitieren, hat die deutsche Nordzucker AG ihr Werk in Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) geschlossen. Entgegen den Erwartungen des Konzern gaben die Mecklenburger Bauern nur 40 Prozent ihrer Rübenlieferrechte zurück. Da aber der Konzern noch die nächsten fünf Jahre lang verpflichtet ist, die Rüben zu verarbeiten, entstehen nach der Schließung der regionalen Zuckerfabrik zusätzliche Umweltbelastungen durch lange Transporte. Das ist nicht im Sinne der EU, die mehr Geld in den ökologischen Landbau und für den Erhalt ländlicher Strukturen investieren möchte. KS

AUS GÜSTROW KATHRIN SCHRADER

Bauer Roland Streeb darf das Gelände der Zuckerfabrik nicht mehr betreten. Trotzdem ist er wieder nach Güstrow gekommen. Als müsse er von Zeit zu Zeit seine Wut auffrischen. Er parkt den Jeep am Straßenrand und springt über den Graben.

Hinter dem Drahtzaun liegt das Werksgelände. Ganz hinten, neben dem ehemaligen Lagerplatz für die Rüben, rammen zwei Abrissbagger ihre Arme ungelenk in den Beton. „Das ist wie ein Feldzug“, sagt Streeb. „Die hinterlassen verbrannte Erde.“ Sein Leben lang hat er wie alle Mecklenburger Rübenbauern jeden Herbst seine Ernte nach Güstrow gefahren. Letztes Jahr war Schluss damit. Die Nordzucker AG hat eine ihrer modernsten Produktionsanlagen geschlossen. Da hat Bauer Streeb den Konzern angezeigt, wegen Untreue und Verschwendung, denn er ist auch Aktionär.

Dabei scheint es legal, was die Nordzucker AG tut. Weil die Europäische Union jeden Produzenten dafür belohnt, weniger Zucker auf den Markt zu bringen, hat der Konzern das Werk geschlossen. 624 Euro zahlt Brüssel für jede Tonne Zucker, die nicht produziert wird.

Auch viele Bauern finden es lukrativ, ihre Rübenlieferrechte gegen eine Entschädigung an die EU zurückgegeben. Deshalb wachsen in diesem Jahr in Mecklenburg nur noch halb so viele Rüben wie in den Jahren zuvor. Die Nordzucker hatte allerdings damit gerechnet, dass es mindestens 70 Prozent weniger sein würden, in Mecklenburg sind es aber nur 40 Prozent. Warum?

Nicht wenige sehen wie Bauer Streeb neue Chancen für die Frucht. „Wir wollen Güstrow zu einer Biospritanlage umrüsten“, erklärt er. Wir, das ist die Norddeutsche Rüben AG. Er hat sie gemeinsam mit weiteren Bauern im November letzten Jahres gegründet. Ihr Ziel ist es, das Werk zu kaufen. „Wir haben der Nordzucker einen guten Preis geboten: 25 Prozent der EU-Entschädigungssumme, genau der Betrag, auf den der Konzern verzichten müsste, wenn er das Werk an uns verkauft, statt es abzureißen.“

Streeb schwingt sich zurück in seinen Jeep. Nichts da mit gemütlicher Gangart und Rückzug aus dem Arbeitsleben, weil er in diesem Jahr fünfundsechzig geworden ist. Noch krempelt er jeden Morgen die Ärmel hoch. Noch stecken in den Taschen seiner Jeans und Weste Telefon, Stifte, Notizblock und Brille, die Dinge, die ein Bauernaktionär an einem Arbeitstag so braucht. Sein Telefon klingelt häufig.

Die Straße führt zwischen Rapsfeldern hindurch, so gelb, dass es weh tut. Streeb redet sich heiß, keine Spur von mecklenburgischer Schweigsamkeit. „Es macht mich krank, was die Niedersachsen mit uns machen. Es findet doch keine Wertschöpfung mehr in Güstrow statt. Die Nordzucker hat sogar einen Teil der Fabrik abgebaut und in Schladen wieder aufgebaut.“ Für Streeb ist das der Beweis, dass die Nordzucker lieber den Osten abhängt, als ihre Großaktionäre im Westen zu verprellen.

Die Unternehmenssprecherin der Nordzucker AG, Bianca Deppe-Leickel, begründet den Schritt mit betriebswirtschaftlichen Überlegungen. „Es ging um Fragen wie: Wo wachsen die Rüben? Wo sind die Kunden? Die Nahrungsmittelindustrie sitzt nun einmal schwerpunktmäßig nicht gerade in Mecklenburg-Vorpommern.“

Von der Bioenergie-Anlage sind die Abgeordneten durch alle Fraktionen hinweg begeistert

Roland Streeb hat keine einzige Rübe aufgegeben. In schnurgeraden Reihen stehen die Pflanzen auf seinem Acker in Nieglewe. „Die Rübe ist eine nützliche Pflanze, ein wichtiger Bestandteil der natürlichen Fruchtfolge“, erklärt er. „Fehlt sie, kommt es zu Monokulturen. Das heißt, man muss mehr Insektizide und Pflanzenschutzmittel einsetzen.“ Wie dunkle Augen liegen kleine Seen in den Senken des hügeligen Landes bei Nieglewe. Ein Reiher stolziert über den Acker. Roland Streeb blickt über das Rübenfeld und sagt: „Könnte mal wieder regnen.“

Fünf Jahre lang wird Streeb auf jeden Fall noch anbauen, so lange ist die Nordzucker verpflichtet, die Rüben der Mecklenburger zu verarbeiten. Aber nicht mehr in Güstrow, ab diesem Jahr wird die Ernte in die über hundert Kilometer entfernte Zuckerfabrik nach Uelzen getreckt. Unter anderem gegen diese Spritfresserei richtet sich Streebs Klage.

Im letzten Herbst ist es genau andersherum gelaufen, da hat die Nordzucker AG zusätzliche Rüben aus Niedersachsen nach Güstrow gekarrt. Man wollte der EU die hohe Kapazitär des Werkes nachweisen, denn die Zuckerquote genannte Subventionierung funktioniert wie Pfandflaschen: Je mehr leere Tonnen abgegeben werden, desto mehr Geld gibt es. Nur ein paar klitzekleine Milliönchen mehr. Merkt ja keiner. Dachten sich die Manager. Das Geld muss ihnen wie feinster Weißzucker in den Ohren gerauscht und den Gedanken an die Bilanz versüßt haben.

Die Konzernführung sagt, die Richtigkeit des Antrags auf Schließungsbeihilfe sei von der EU nicht angezweifelt worden. Was nicht im Antrag stand: Die Behörden in Mecklenburg haben die Mehrproduktion nicht genehmigt, aus Gründen des Umweltschutzes. Denn wer mehr produziert, verbraucht mehr Wasser.

Nur einen Steinwurf von Nieglewe entfernt, in Lalendorf, sitzt Lutz Golz in seinem Büro. Er ist auf dem Sprung. Die Dinge überschlagen sich. Er wird der Mecklenburger Rübe den Weg ins 21. Jahrhundert ebnen. „Die Rübe ist wesentlich energiereicher als Raps oder Mais“, erklärt er. Man kann aus ihr nicht nur Ethanol gewinnen, sondern auch Buthanol, einen Stoff, der Diesel beigemischt werden kann. Ein interessantes Nischenprodukt. Bald könnten 16 Prozent des in Deutschland benötigten Bioethanols aus Mecklenburg kommen. „Man müsste den Anbau lediglich um das 2,5- bis 3fache steigern. Das ist locker möglich. In Mecklenburg ist noch genügend Platz.“

Lutz Golz gehört zu jener Generation Ostdeutscher, denen die Wiedervereinigung einen Bruch in der Biografie verpasst hat. Der promovierte Sozialwissenschaftler arbeitete als Dozent an der Pädagogischen Hochschule Neubrandenburg, bis sie Anfang der Neunzigerjahre abgewickelt wurde. Heute ist Golz angekommen in der Marktwirtschaft, aber die Narben von damals schmerzen von Zeit zu Zeit, wenn der Wind mal wieder scharf aus Westen bläst. „Wir Ossis galten damals nichts.“ Er arbeitet als Unternehmensberater und hat eine Firma zur alternativen Energiegewinnung gegründet. Wind, Sonne, kaltgepresste Öle, Energiefrüchte – er referiert heute in ganz Europa.

Golz ist Geschäftsführer der Trink- und Abwassergesellschaft ARA in Lalendorf. Er ist dem Kapazitätsschwindel der Nordzucker AG auf die Schliche gekommen, in seinem Büro entstand die Idee, die Norddeutsche Rüben AG zu gründen. „Nicht nur, um die Biospritanlage zu finanzieren, sondern auch, um die Forderungen der Mecklenburger Bauern gegen die Nordzucker gemeinsam zu formulieren“, erklärt Golz.

Bald könnten 16 Prozent des in Deutschland benötigten Bio-Ethanols aus Mecklenburg kommen

Der Anwalt der Rübenbauern, Hans-Joachim Radisch, kommt. Er stürmt die Tür zu Golz’ Büro mit einem Bündel Akten – Material, das die Bauern in Vorbereitung auf den Prozess gegen Nordzucker, der im Juni beginnt, studieren werden. Seine Krawatte klebt verwirbelt auf dem Revers. Radisch ist Niedersachse, der einzige Westler in dieser Ost-Allianz. Vor zehn Jahren hat er seine Kanzlei nach Mecklenburg verlegt. Er hat sich in das Land verliebt, sagt der 54-Jährige. Doktor Radisch ist erbost über die „pervertierte Form des Kapitalismus, wie sie im Fall Nordzucker vorliegt“. Er hat die Staatsanwaltschaften von Braunschweig und Rostock informiert, die nun wegen Subventionsbetrug gegen den Konzern ermitteln.

Als die Nordzucker AG von den Kaufplänen der Mecklenburger Rübenkämpfer erfahren hatte, begann sie, die Anlage in Güstrow abzureißen. „Die wollen sich keine Laus in den Pelz setzen“, erklärt Radisch – schließlich bekäme mit ihnen die konzerneigene Bioethanol-Anlage Konkurrenz. Für den Fall, dass sie die Raffinerie verlieren, hat Lutz Golz schon einen Plan B. In dem Gewerbegebiet hinter den Sonnenkollektoren in Lalendorf, gleich gegenüber seinem Büro, sieht er bereits die neuen Biogas-Anlagen. Golz’ blaue Augen hinter runden Brillengläsern blitzen, die Banker hat er auch schon überzeugt.

Sein Mitstreiter Streeb ist nach Schwerin in den Landtag gefahren und hat Verbündete gesucht. Von der Bioenergie-Anlage sind die Abgeordneten durch alle Fraktionen hinweg begeistert, aber die Zuckerfabrik in Güstrow gegen die Pläne der Nordzucker zu erhalten, fühlen sie sich außerstande. Roland Streeb wird seine Nordzucker-Aktien nun verkaufen und das Geld in die neuen Anlagen investieren.

Schon dreißig weitere Bauern haben einen Antrag auf Aufnahme in die Norddeutsche Rüben AG gestellt.