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Archiv-Artikel

Ingrid von der Post

Kleine Orte müssen schon länger ohne Postamt auskommen. In Friedrichstadt vertritt Ingrid Michaelsen die neue Post. Ein Besuch

VON ESTHER GEISSLINGER

Ingrid Michaelsen kennt sie alle: Herrn Jäger, der nach dem Einkauf ein wenig schwatzen möchte, Frau Meier mit ihrer kleinen Tochter, den Schlachter, der gerade einen Job sucht. Michaelsen lacht und plaudert, tippt Preise ein, klebt Briefmarken an. Ingrid Michaelsen ist die Post in Friedrichstadt – die moderne Form der Post. Sie steht nicht in einem Amt, sondern in einem selbst gebauten Verschlag zwischen Gemüsestand und den Kassen im örtlichen Supermarkt. Michaelsen ist „Postpartnerin“.

Vor zehn Jahren verlor die Kleinstadt in Nordfriesland das Postamt – ein schwerer Schlag für den Ort. Betroffen von der Schließungswelle war nicht nur Friedrichstadt: Im weiten Umkreis ist Nordfriesland postamtfrei, stattdessen gibt es höchstens Filialen, in manchen Orten nicht einmal das. Damit ist die Region der Zeit voraus: Bis 2011 will die Post ihre letzten offiziellen „Ämter“ schließen und die Dienste in Supermärkte oder Kioske auslagern.

Vor zehn Jahren machten der Friedrichstädter Bürgermeister und Stadtrat Druck, um zumindest eine Filiale zu behalten. Zunächst übernahm ein Schreibwarenladen den Job, 2006 zog die Filiale in den Supermarkt von Axel Vester um. Er vermietet Michaelsen ihren Standplatz für eine symbolische Summe und ist froh über diese Lösung: „Müsste ich die Filiale selbst betreiben, wie es in vielen Märkten der Fall ist, würde es sich nicht rechnen.“ Die Post rede die Sache schön, verweise auf Synergieeffekte. „Aber mal ehrlich: Ich habe 1.000 Kunden täglich, der Postschalter vielleicht 200 – wer profitiert da wohl von wem?“ Eine eigene Mitarbeiterin für den Betrieb abzustellen, würde sich kaum lohnen angesichts der niedrigen Pauschale, die die Post an ihre „Partner“ zahlt, sagt Vester und lobt Michaelsen, die als Einzelunternehmerin gerade so über die Runden kommt: „Sie arbeitet wirklich sehr viel.“

Urlaub sei nicht drin, bekennt Michaelsen, die früher mit einem Fischwagen über Land fuhr und die mit ihren 61 Jahren nicht daran denken darf, mit der Arbeit aufzuhören: Seit 1991 ist ihr Mann krank, die Rente ist klein. „Ich mache manchmal von Freitag bis Montag Pause, das ist alles.“ Von der Post fühlt sich die „Partnerin“ nicht gerade gut behandelt. Zwei Wochen Schulung gab es am Anfang, der Druck ist groß und das Geld nicht üppig. Sie haftet, wenn Briefe nicht ankommen oder etwas mit einer Überweisung schief geht, sie muss sich gegen Überfälle versichern: „Die Filiale im Nachbarort wurde überfallen, der Kollege war nicht versichert – das wurde richtig teuer.“ Darum passt sie auf, an wen sie die Sendungen weitergibt. Schon längst fahren keine Postwagen mehr, sondern Subunternehmen. „Neulich kam einer, der sich nicht mal ausweisen konnte.“ Da hat sie die Säcke nicht rausgegeben.

Auch für die Postbank ist sie zuständig, kann aber maximal 1.500 Euro annehmen oder auszahlen, was viele Kunden störe. Früher wurden die Postbeamten feierlich auf das Postgeheimnis eingeschworen, jetzt sind die Zeiten solcher Rituale vorbei. „Man hat uns gesagt, dass wir nichts erzählen dürfen, das war es schon“, sagt Michaelsen. „Offenbar hält die Post diesen Schwur für einen alten Zopf.“ Für sie sei es selbstverständlich, nichts von den kleinen Geheimnissen zu verraten, die Postleute erfahren. Etwa, wer mit einem Flensburger Spezialversand in Briefverkehr steht, wer Miese auf dem Konto hat und wer viele Mahnungen bekommt. Doch in ihrem Dorf, ein paar Kilometer außerhalb von Friedrichstadt, sausen im örtlichen Supermarkt die Mädels von der Kasse zum Postschalter. „Da gibt es dann nicht eine Zuständige“, sagt Michaelsen. „Muss doch nicht jeder im Ort wissen, was Oma auf dem Sparbuch hat.“

Die Kunden sind zufrieden mit ihrer Ingrid von der Post. Trotzdem: Dass auch noch die letzten regulären Ämter geschlossen werden sollen, findet keiner gut. Und was werden soll, wenn Michaelsen in Rente geht, mag sich keiner vorstellen.