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Archiv-Artikel

Die Hülle im Blick

Es geht nicht nur um ein Organ, sondern auch um Wahrnehmung – und die Frage, was Fotografie eigentlich mit Häutung zu tun hat: Eine Ausstellung in Hamburg widmet sich der menschlichen Haut

VON PETRA SCHELLEN

Eigentlich ist das Thema absurd. Denn Haut existiert ja nicht für sich: Ohne zu Umhüllendes verliert sie ihren Sinn. Warum also widmet man in Hamburg nun schon zum dritten Mal eine Fotoausstellung diesem größten Körperorgan, das nicht einmal besonders gut angebunden ist an den Blutkreislauf des Menschen? Weil die Haut eine zeitlos gültige Metapher ist, Vehikel von Kommunikation und Abgrenzung und somit – in Zeiten sich verschiebender geographischer und klimatischer Grenzen – fast ein Politikum.

Ausdrücklich politisch allerdings ist keiner der nun im Hamburger Kunsthaus präsentierten Künstler an das Thema herangegangen. Erstmals haben Studierende aus Kunst und Wissenschaft zusammen gearbeitet und in Seminaren zum Thema „Haut“ gearbeitet. Die Spanne der Zugänge ist breit. Pragmatisch und fast hilflos direkt wirken die Fotos von nackten Schwangeren, Gesichtern, auch mal einem Apfel mit Schamhaaren – Haut pur eben; Bilder, die das Phänomen letztlich nur illustrieren. Sie bleiben, nun, an der Haut-Oberfläche – abgesehen vielleicht von jenem Sadomaso-Foto Mareike Günsches, das einen an der eigenen Haut Aufgehängten zeigt und stark auf zuschauerseitiges Erschauern zielt.

Interessanter sind da schon die künstlerischen Grenzüberschreitungen einiger Künstler der örtlichen Hochschule für Bildende Künste, die sich sehr konkret in den Schutzraum kränkelnder Haut begaben: in die Räume des Hamburger Dermatologikums, einer spezialisierten Gemeinschaftspraxis. Bläulich schimmernde Untersuchungsräume, Umkleidekabinen wie aus dem AKW und quasi gynäkologischen Behandlungsstühlen haben sie hier eine beinahe mystische Aura verliehen. Ausschnitte einer gekachelten Welt, die nur fast normal ist, weil mit latentem Grauen unterlegt. Insa Grahlmann spaziert in ihren Arbeiten noch mehrere Schritte weiter: In sehr freier Anspielung an Donald Judd hat sie Guckkästen, Guckkastenbühnen gebaut, die eigentlich eine Art gerahmter fotografierter Aquarien sind: In zoologischen Aquarien hat sie Unterwasser-Szenen abgelichtet und die Ergebnisse sauber in Über- und Unterwasseransicht eingeteilt. Es soll ja Insekten geben, für die das Wasser an seiner Oberfläche eine stabile Haut bildet, auf der sie sogar laufen können.

Vielleicht bedeutet Fotografieren selbst das Durchdringen jener subjektiven Wahrnehmungs-Haut, der Verblendung sozusagen, die ansonsten vor den Dingen liegt. Fotografieren wäre demnach Häutung, die bei den alten Griechen so gefürchtete Bloßstellung der dinglichen Welt. Die aktuelle Hamburger Ausstellung legt sich nicht sklavisch auf das Haut-Thema fest, sondern bietet auch deftig Humoriges: Jenny Jacobys riesige „Lisa“ etwa ist eigentlich die Mannequinpuppe der Kunstschule – kein martialisch beleuchteter Embryo.

Exklusiv und klug-selbstironisch gerieren sich dagegen die „Moulagen“, die keine echten Wachsabgüsse von Körperteilen zur Demonstration von Hauterkrankungen sind. Sondern live fotografierte Menschen, die emotional verursachte Hautveränderungen aufweisen. „Nase eines Mannes im Laufe eines Gespräches“ heißen die abstrakt auf schwarzen Grund aufgebrachten Collagen dann. Oder, wie das weibliche Profil nebenan: „In Gedanken beim Essen“, „hungrig“ und „satt“. Frisch und humorig – und zugleich die Frage nach dem vermeintlichen „Normalzustand“ von Haut stellend. Denn welcher sollte das sein: das Erröten – oder nicht doch vielmehr das Erblassen?

Atessa Vatanchi betrachte die Dinge philosophisch: Abgestorbene Körperzellen und Haarschuppen hat sie in eine Blackbox gelegt, mit dem Föhn verwirbelt und den so entstandenen Strudel fotografiert. Das Resultat: Ein Blick wie ins Weltall, in gigantische Milchstraßen. Ein Spiel, sicher, so verrückt vielleicht wie kindisch. Andererseits: Ist der Mensch nicht nur eine Hautschuppe im Universum?

bis 6. 7., Kunsthaus Hamburg