berliner szenen Geländerbesitzer

Ein Hauch von Brutalität

Wie jeden Tag schließe ich mein Fahrrad am Eingang zum U-Bahnhof Hermannstraße an. Alle paar Monate bezahle ich diese Angewohnheit mit einem aufgestochenen Reifen (komischerweise immer hinten). Solange sich die Frequenz solcher nicht über die Maßen konstruktiver Akte im gewohnten Rahmen bewegt, nehme ich das in Kauf.

Aber es drohen offenbar noch andere Gefahren. Während des Schließvorgangs werde ich auf einmal von zwei Männern angesprochen. Ich habe sie bereits zuvor misstrauisch aus dem Augenwinkel wahrgenommen – zwei unangenehme, gewiss auch bedauernswerte Gestalten, hart auf dem Kamm zwischen Kleinkriminalität und Trinkermilieu surfend. Sie strahlen eine unbeholfene, feige und obrigkeitsbeflissene Art von Brutalität aus. Ein wenig verwundert, dass sie mit weißem Hemd und dunkelblauer Hose jeweils eine Art Uniform tragen, ungewöhnlich für doch sonst meist lieber in der Anonymität verbleibende Ganoven.

„Sie wollen das Fahrrad jetzt aber nicht hier anschließen?“, bellt mich der eine mit um zehn Uhr morgens wohl schon naturschwerer Zunge an. „Doch, natürlich.“ – „Sie wissen, dass das unser Geländer ist?“ Endlich verstehe ich – der Standort, die einheitliche Bekleidung –, sie sind Geländerbesitzer! Es ist ihr Geländer, sie bewachen es, hegen es, pflegen es, und ich verletze seit Jahren ungeniert ihr Eigentum. Das ist Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch, Geländerfriedensbruch, Sachbeschädigung … Mord womöglich. „Da kommt dann jemand von der BVG“ – ist das die Bundesvereinigung der Geländerbesitzer? – „und schneidet Ihr Fahrrad mit dem Bolzenschneider ab. Könn’ Se sich dann am Zentralen Fundbüro abholen.“ – „Ja, werd ich machen. Danke!“ ULI HANNEMANN