: Die Antifa wird als Expertenpool toleriert
Brandenburg feiert zehn Jahre „Tolerantes Brandenburg“. Damit hat das Land ein rechtes Problem eingeräumt und Gegenstrategien entwickelt
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck lädt für den heutigen Dienstag zu einem Festakt ein: Die Potsdamer Landesregierung feiert das zehnjährige Bestehen des Handlungskonzeptes „Tolerantes Brandenburg“. 1998 hat die Regierung dem Land Antirassismus von oben verordnet. Sie finanzierte Stellen für mobile Berater gegen rechts und Beratungslehrer in den Schulen, um Strategien gegen Fremdenfeindlichkeit und rechte Kultur zu entwickeln.
Auf dem ersten Blick hat sich in der Mark nur wenig verändert. 1999, ein Jahr nach Einführung des Konzeptes, zog die rechtsradikale DVU in den Landtag ein – wo sie bis heute sitzt. Sie und die NPD haben zu den Kommunalwahlen im September zahlreiche Vertreter für kommunale Mandate aufstellen können. In der Statistik der rechtsextremen Gewaltstraftaten steht Brandenburg bundesweit auf dem unrühmlichen zweiten Platz.
Für Dirk Wilking, den Leiter der mobilen Beratungsteams, hat sich dennoch viel getan. „Die Zivilgesellschaft ist wehrhafter geworden“, sagt er. Vor zehn Jahren hätten viele Kommunalpolitiker rechte Symbole und eine rechte Unterwanderung von Jugendclubs nicht einmal erkannt.
Das war nicht die einzige Absurdität: Wenn linke Gruppen rechte Tendenzen in märkischen Kommunen benannt hatten, galten sie oft als Nestbeschmutzer. Kommunalpolitiker waren mitunter stärker um den guten Ruf der Kommune besorgt als um rechte Umtriebe in Jugendclubs oder Schulen.
Als eigentliches Problem galten oft die Antifas oder Menschen aus Kirchen und linken Parteien, die die Probleme benannten. Das sei heute anders, sagt Wilking. „Die Wahrnehmungsfähigkeit ist gestiegen. Und die einstigen Schmuddelkinder von der Antifa sitzen heute in vielen Landkreisen als anerkannte Experten mit an den runden Tischen.“ Seine mobilen Beratungsteams helfen im derzeitigen Kommunalwahlkampf den Ortsvereinen aller demokratischer Parteien beim Umgang mit NPD und DVU. „Da spielen wir durch, wie man sich verhalten kann, wenn neben dem eigenen Wahlkampfstand plötzlich einer der NPD steht“, sagt er.
Dass Brandenburg überhaupt ein Programm gegen Fremdenfeindlichkeit brauchte, war 1998 keine Selbstverständlichkeit, erinnert sich Gerd Harms. Der damalige Bildungsstaatssekretär gilt als einer der Erfinder des Handlungskonzepts. „Mit der Installation eines Landesprogramms gegen rechts haben wir offen zugegeben, dass Brandenburg ein Problem mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus hat“, sagt er. Das war gewöhnungsbedürftig. Trotz zahlreicher rassistischer Überfälle war der Ansatz in der damaligen SPD-Alleinregierung erst nach einem längeren Diskussionsprozess konsensfähig. „Noch schwieriger war es in manchen Kommunen, wo man der Meinung war, die Rechten seien doch nur ein paar dumme Jungen, und das würde sich ohnehin verwachsen“, so Harms.
Auch der Ansatz des Handlungskonzepts, die Zivilgesellschaft zu stärken, sei gewöhnungsbedürftig gewesen. Dirk Wilking: „Der erste Reflex von manchen Kommunalpolitikern war ja erst mal, nach Polizei und Ordnungsamt zu rufen, wenn es ein rechtes Konzert oder eine Demo gab. Rechtsextremismus wurde nicht als politische Erscheinung wahrgenommen. Man hat nur geguckt, wo Gesetze greifen.“ Diesen Reflex gebe es zwar heute auch noch, „aber das ist nicht mehr der einzige. Es gibt heute überall Leute, die die politische Auseinandersetzung nicht scheuen.“
Dirk Wilking und seine Mitarbeiter fuhren in den Anfangsjahren zu Jugendsozialarbeitern nach Lübbenau. Die wussten von dem rechten Publikum in ihren Jugendtreffs, aber das Jugendamt und die Kommunalpolitik hatten damals die Augen verschlossen. Die mobilen Berater animierten sie, sich Verbündete zu suchen und mit ihnen gemeinsam ein Analysepapier zu schreiben. Fakten wurden benannt: wo rechte Musik gespielt und wo Nichtrechten der Zugang zum Club verwehrt wurde. Fakten seien besser, als nur Unmut zu grummeln.
Als Kanzler Gerhard Schröder (SPD) im Jahre 2000 den „Aufstand der Anständigen“ ausgerufen hatte, wurde das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ zu einem bundesweiten Modellprojekt. Die rot-grüne Bundesregierung installierte in den anderen Ostländern mobile Beratungsteams. Mit einem Geburtsfehler: Die vom Bund finanzierten überwiegend linken mobilen Berater fungierten als Ankläger gegenüber den konservativen Landesregierungen in den Ostländern. Wo viele Landesregierungen wegschauten, konstruierten sie eine Gegenöffentlichkeit aus der örtlichen Antifa und kritischen kirchlichen und gewerkschaftlichen Gruppen. Eine, die deutlich weiter links war als die Landesregierungen. Das störte. MARINA MAI