: Vom Suchen und Scheitern eines Bildes
Mit dem Dokumentarfilm „La Paloma“ versucht die Regisseurin ein Lied und seine Geschichte zu bebildern – in einer unspektakulären Weise
Die Ursonate des Pop wurde es einmal genannt. „La Paloma“ geht immer weiter, hört nie auf. Und tatsächlich ist die unendlich langsam pulsierende Ekstase von der Taube das meistgespielte Lied der Welt. Und jetzt gibt es sogar ein Buch und eine Dokumentation über die vielen Windungen des verfluchten Ohrwurms.
Mit „La Paloma“ ist die Regisseurin Sigrid Faltin dem Lied an seine verschiedene Schauplätze nachgereist, hat alte Filmausschnitte zusammengetragen, Notenarchive konsultiert, Musiker getroffen und Experten befragt, wie den kubanischen Musikwissenschaftler und Musiker Helio Orovio.
Die Regisseurin selbst bleibt unsichtbar, sie lässt ihre Interviewten erzählen und illustriert deren Aussagen und Handlungen unspektakulär. Etwa mit der verrosteten Kupferscheibe eines mechanischen Klaviers, auf der mutmaßlich die erste erhaltene „La Paloma“-Version eingeritzt ist. Sie wird im Nationalarchiv von Kuba in einem Karton aufbewahrt.
Auf Kuba beginnt wahrscheinlich auch die Geschichte des Songs. Im Originaltext von 1859 wird Havanna als Sehnsuchtsort erwähnt, von dem der Vortragende sich, eine schöne mexikanische Frau zurücklassend, heimlich, still und leise davonstiehlt. „Wenn an dein Fenster eine Taube kommt / So behandle sie zärtlich / Denn das bin ich“. Der Komponist Sebastian Iradier übernahm aber den in Kuba gebräuchlichen Habanera-Rhythmus in sein Lied. Die Habanera ist mehr als nur ein Beat, ist Song, Tanz, Weltanschauung in einem. Wichtiger Bestandteil der multiethnischen kubanischen Identität. Und Grundlage auch für den argentinischen Tango. In den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts spricht auch der Musiker Jelly Roll Morton in New Orleans anhand von „La Paloma“ vom „spanischen Flair“, das elementar für die Stimmung im Jazz sei.
In Deutschland denkt man bei „La Paloma“ automatisch an Hans Albers, der es in Helmut Käutners „Große Freiheit Nr. 7“ als angebliche Kritik an den Nazis gesungen hat. Sigrid Faltin spart die dunkle Seite des Songs nicht aus und lässt den Berliner Jazzgitarristen Coco Schumann zu Wort kommen, der „La Paloma“ im Konzentrationslager spielen musste.
Heute ist „La Paloma“ ein Universal-Evergreen. Nach Hawaii kam er durch mexikanische Cowboys. Längst, so führt der Gitarrist Harry Koizumi im Film vor, wird „La Paloma“ mit der speziell gestimmten hawaiianischen Gitarre gespielt, als sei es ein traditionelles Volkslied. JUL
„La Paloma“. R: Sigrid Faltin. D/F 2007, OmU, 93 Min.