Berliner Platten : Neue Strategien gegen Babylon: Wood In Di Fire lassen die Orgel psychedelisch jammern, und Rebellion the Recaller gibt den Reggae wieder als Erweckungsmusik
Es ist eine Kunst. Durchzuhängen, ohne wegzudämmern. Tagträumen, ohne einzuschlafen. Ganz konzentriert so zu tun, als sei eh alles egal. Dass Wood In Di Fire diese Kunst, die allgemein unter der Bezeichnung Reggae bekannt ist, beherrschen, das beweist, dass man sie offensichtlich auch erlernen kann, wenn man an einer mitteleuropäischen Musikhochschule ausgebildet wurde. Auf „Noon On The Moon“ gähnen die Bläser, trödelt das Schlagzeug im Offbeat und schlürft der Bass wie nach durchwachter Nacht. Manchmal fährt eine Hammond-Orgel mit ihrem psychedelisch aufgeladenen Gejammer quer durch die allgemeine Entspannung und sorgt für wundervoll absurde Momente, die allerdings Longfingah durch seinen Gesang wieder auf karibische Klischees reduziert. Dass Wood In Di Fire nicht aus Jamaika stammen, sondern aus Berlin, und dass sie ihre Platten in einer Scheune im uckermärkischen Neu-Meichow aufnehmen, das merkt man an anderen Stellen: Dann nämlich, wenn Anne-Kristin Beelitz anhebt zu singen. Oder wenn Daniel Sauerborn ein Saxofon-Solo hinlegt oder Benjamin Käfer einen wohltemperierten Exkurs auf dem Piano. Ja, hier verarbeiten einige Jazzer ihren unheilvollen Hang zum Reggae. Früher hat man alte Jazz-Standards im Offbeat umgesetzt, auf „Noon On The Moon“ finden sich nun erstmals ausschließlich eigene Kompositionen. Das Ergebnis klingt aber immer noch obskur: Vor allem die Diskrepanz zwischen dem sorgsam bekifften Hintergrund, die die Band legt, und dem fast schon akademischen Vortrag in den Soli ist im ersten Moment haarsträubend – funktioniert aber dann doch tatsächlich über den Novelty-Effekt hinaus ganz prima.
Geradezu klassisch dagegen die Herangehensweise von Rebellion the Recaller. Mitunter scheint es fast, als hätte das legendäre Rhythmus- und Produzentenpärchen Sly & Robbie Hand angelegt. Moderne Ideen aus Jamaika wie die elektronischen Einflüsse aus dem Dancehall sucht man auf „Movin On“ vergeblich. Bob Marley und Peter Tosh wirken hier noch sehr lebendig, und auch eine andere Tradition des Genres wird hier reaktiviert: Der Reggae als religiöse Erweckungsmusik, auch wenn weder Jah noch gewisse Kräuter gepriesen werden, sondern eher Allah. Und nicht zuletzt benutzt Rebellion the Recaller, der Bafode Dramé heißt, in Paris geboren wurde, mit elf Jahren zusammen mit seinen Eltern in deren Heimat Gambia zurückkehrte und mittlerweile in Berlin lebt, seinen retrospektiven Zugang zum Reggae, um dessen zuletzt eher vergessenes Potenzial als politische Plattform wiederzubeleben.
Dramé klagt, wie man es kennt vom guten alten Reggae, gegen die Auswüchse Babylons, gegen Krieg und Ausbeutung und die verdorbene Politik, gegen den Kapitalismus als Ursprung allen Übels. Er ruft den Allmächtigen um Hilfe an und verdammt das Böse. Reggae wird hier wieder, noch einmal zur Stimme der Dritten Welt. Das ist – natürlich – ziemlich naiv. Aber immerhin propagiert Rebellion the Recaller nicht wie seine Vorgänger, dass ein Zug aus dem Joint die Welt retten könnte. THOMAS WINKLER
Wood In Di Fire: „Noon On The Moon“ (Moanin/Alive!) Konzert Fr. Maschinenhaus, 22 Uhr
Rebellion the Recaller: „Movin On“ (IMmusic/Groove Attack)