: Fast irres Wasser
So hat sich das Jürgen Trittin sicher nicht vorgestellt: Wer keinen Ärger mit dem Pfand haben will, muss statt kaltem, klarem Wasser aromatisierte Chi-Chi-Getränke trinken
VON MARTIN REICHERT UND JUDITH LUIG
„Vielfalt, die sich nicht zur Einheit ordnet, ist Verwirrung. Einheit, die sich nicht in Vielfalt gliedert, ist Tyrannei“, schrieb der französische Philosoph Blaise. Der Mann muss visionäre Fähigkeiten gehabt haben. Steht man 2008 im Getränkegang eines Supermarktes, sollte man diesen Spruch aus dem 17. Jahrhundert immer wieder leise vor sich hin sagen. „Vielfalt ist gut“, muss man sich einreden. Mithilfe ideologischer Untermauerung kann man verdrängen, was man eigentlich denkt: Die Getränkehersteller sind verrückt geworden.
Vor dem Betrachter erstreckt sich regalkilometerlang das, was die Gesellschaft für Konsumforschung die 3. Generation der Newcomer am alkoholfreien Getränkemarkt nennt: Near-Water-Produkte. Also Fastwasserprodukte oder schlicht ausgedrückt: Wasser mit Geschmack.
Zur Jahrtausendwende hatte Apollinaris mit seinem „touch of lemon“, dem gehauchten, etwas herben Zitronengeschmack, als einziger Hersteller ein aufgejazztes Wasser im Sortiment. (Übrigens läuft das nicht unter Nearwater, sondern unter flavoured Water). Heute gibt es fast keine Quelle mehr, die sich nicht auf dem Weg ins Regal vermischen würde. Übrigens ist es niemals nur ein einziger einfallsloser Geschmack , der beigefügt wird. Eigentlich braucht man mindestens zwei Geschmacksrichtungen, gern auch mal einen exotischen wie bei der Balance-Reihe von Vöslauer: Erdbeere-Pfeffer oder Birne-Kaktusfeige. Wer nur einen Geschmack aufweisen kann, der peppt ihn zumindest rhetorisch auf – wie Adelholzener. Deren Aromawasser basiert nicht auf einem schlichten Apfel, sondern auf „Apple Passion“. Obwohl sich die Frage stellt, ob es sich bei einem Fruchtgehalt von 50 Prozent nicht ohnehin eher um die 1. Generation der alkoholfreien Neuheiten handelt: Schorlen, Iced Teas und Sportdrinks. Oder ist es doch ein Wellness-Drink und damit wieder eine ganz andere Kategorie?
Verrückt ist sie geworden, die Getränkeindustrie, und in den Wahnsinn getrieben wurde sie von: Jürgen Trittin! Wer nämlich sein in Plastikflaschen verpacktes Geschmackspfützchen als Wellness oder sonstigen Chi-Chi-Drink labelt, umgeht damit elegant die von Rot-Grün eingeführten Pfandverordnungen. Und der Kunde? Klar, der gute Wille ist ja da, aber Durst brennt, und Zeit ist knapp. Wer nicht gerade in der schwäbischen Provinz wohnt und Freude daran empfindet, seine Freizeit auf Wertstoffhöfen oder in Pfandflaschenrückgabe-Centern zu verbringen, ist eben manchmal schlicht zu faul, für so wenig kühles Nass so viele Beschwerlichkeiten auf sich nehmen: ex & hopp und ab in die Tonne. Schmeckt halt ein bisschen seltsam, aber wer sagt denn auch, dass das Leben immer auf Schienen läuft. Dabei wäre es in der urbanen Wirklichkeit gar kein Problem, seine Pfandflasche einfach an der nächsten Straßenecke abzustellen oder auf einem Mauervorsprung zu parken. Ein solcher Akt fällt längst nicht mehr unter die Kategorie Umweltverschmutzung. Es handelt sich vielmehr um einen Akt gesellschaftlicher Solidarität, wenn auch auf bizarren Umwegen: Unglaublich viele sozial Schwache nutzen das Einsammeln von Pfandflaschen, um ihre Kasse aufzubessern. Leere Flaschen werden einem zum Teil sofort nach Entleerung freundlich abgenommen.
Das Sortiment der designten Alkoholalternativen ist im Vergleich geradezu eine Belastung, denn es ist eher unübersichtlich für den Verbraucher. Bei Apfel- oder Orangensaft ist alles so schön einfach: Saft darf nur heißen, was auch wirklich Saft ist, liegt der Saftanteil bei bis zu 50 Prozent (wobei man von einem erhöhten Zuckeranteil ausgehen kann), muss es als Fruchtnektar deklariert werden, die Stufe darunter muss man dann Fruchtsaftgetränk nennen.
Solche Orientierungshilfen auf dem Etikett fehlen bei Wellness- und Nearwater-Wässerchen. Da es im Supermarkt nicht bei den Softdrinks sondern bei den Mineralwassern steht, glaubt der Konsument, er kaufe hier tatsächlich ein Getränk, das genauso gesund ist wie Mineralwasser und einfach ein bisschen aufregender schmeckt. Namen wie Balance oder Moment und dazu jede Menge Obst und Tantraschleifen auf den Flaschen suggerieren tatsächlich, dass man sich mit dem Getränk etwas Gutes tut. Und teuer ist es auch – da muss man sich doch den Porsche unter den Geschmackswassern gekauft haben. Wäre nicht dieser süß-klebrige Geschmack, man würde es tatsächlich glauben. Auch die Stiftung Warentest kann einem bislang nicht weiterhelfen. Noch fehlt eine umfassende Studie darüber, wie gesund diese Wasser wirklich sind.
Mit den Aromawassern verhält es sich ein bisschen so wie mit Germany’s Next Topmodel. Fragt man danach, kriegt man zur Antwort: „So was trinke ich nicht. Igitt. Ist doch viel zu süß!“ Die Zahlen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) sagen aber etwas anderes. 2003 nahm die gerade neu entstehende Saft- und Wasserkonkurrenz bereits 13 Prozent des Marktes alkoholfreier Getränke ein, im laufenden Jahr liegt man schon bei fast 20 Prozent.
Und auch wenn die Wellness- und Nearwater-Produkte gerade im Verkauf ein bisschen einknicken, so macht der gestiegene Preis den Verlust wieder wett. „Der Verbraucher erwartet von diesen Getränken Zusatzfunktionen“, erklärt Günter Birnbaum von der GfK. Dafür muss er dann auch etwas mehr bezahlen.
Interessant eigentlich, dass solche Getränke mittlerweile auch kistenweise für den Hausgebrauch gekauft werden. Schließlich müsste man zwecks geschmacklicher Aufpeppung des von manchen als fade empfunden, jedoch hierzulande sehr gut trinkbaren Leitungswassers nur auf Großmutters Tricks zurückgreifen: Sirup. Im benachbarten Ausland, etwa in Frankreich, gehört der Fruchtsirup zur selbstverständlichen Ausrüstung des Haushalts. Nur bei uns scheint er allmählich in Vergessenheit zu geraten. Warum eigentlich?
Der taz.mag-Wassertest
Blutgrätsche, Wilde Kirsche (Gerolsteiner)
Geschmack: Ein wässriger Kirschgeschmack, der ein bisschen in Richtung Automatenkaugummi geht
Surplus: Wildes Cover mit blutenden Kirschen und bösem Grinsemonster mit Fußballauge, nach der EM vielleicht ein bisschen abgestanden
Dribbelkönig, Limette (Gerolsteiner)
Geschmack: Wenn man den fummeligen Verschluss tatsächlich bezwungen hat, erschließt sich einem die Intensität des Getränks zunächst auf Ganzkörperbasis: Die Flüssigkeit landet beim Ansetzen auf dem Hemd. Geschmacklich changiert der „Dribbelkönig“ zwischen Caipirinha und alkoholfreiem Minz-Cocktail – allerdings ist die Limette sowohl im An- als auch im Abgang deutlich überrepräsentiert.
Surplus: siehe Blutgrätsche
Active Plus, Apfel-Zitrone, Vitamine B&C (Apollinaris)
Geschmack: Active Plus erinnert beim ersten Schluck an das, was man im Handel als Apfelfruceiskaltes Kranenberger bezeichnet. Das aber täuscht: Während der Apfel recht unauffällig durch den Mund gleitet, rutscht die komplementäre Zitronennote unter die Zunge und kribbelt da ein bisschen.
Balance, Erbeere-Pfeffer (Vöslauer)
Geschmack: Schmeckt, als hätte man bei einer globalisierungskritischen Demo gerade einen Erdbeerjogurt der untersten Discounter-Preiskategorie gelöffelt – und dann kam da dieser freundliche Polizeibeamte in Drillich-Anzug und Sturmhaube, der einem Pfefferspray ins Gesicht gesprüht hat. So ähnlich jedenfalls. Soll aber eigentlich an die Crossover-Gourmet-Pirouette „gepfefferter Erdbeeren“ gemahnen: Im neuen Jahrtausend setzt man nun mal – gnadenlos – auf Geschmacksdiversifikation.
Surplus: Ein Witz auf der Flasche. Erdbeere: niest. Pfeffer: „Gesundheit“. Sagt die Erdbeere: „Danke. Ich mag Gewürze mit Manieren.“
Balance, Birne-Kaktus (Vöslauer)
Geschmack: Schmeckt zunächst mal einfach nach Birne, was allerdings auch daran liegen kann, dass man nicht unbedingt weiß, wie Kaktusfeigen schmecken – es handelt sich hierbei schließlich um ein eher alltagsfernes Gewächs.
Surplus: Noch so ein Bretterknaller von Witz. „Eigentlich könnte die Birne feige sein und so einem stacheligen Kameraden gar nicht erst zu nahe kommen. Dabei ist der Kaktus feige. Nein. DIE Kaktusfeige“.
Active Fresh Vitamin Apple Passion (Adelholzener)
Geschmack: Von der Optik auf Apfelschorle getrimmt – was auch inhaltlich-geschmacklich einigermaßen eingelöst wird. Klar: Fruchtgehalt mindestens 50 Prozent! Frei nach der Devise „An apple a day keeps the doctor away“ sind in Zeiten schwankender Krankenkassen-Leistungen zusätzliche Vitamine zugefügt. Mann kann schließlich nie wissen.
Surplus: Kann auch als freundlich-harmloser Molotow-Cocktail eingesetzt werden: „Bei starkem Schütteln oder übermäßiger Erwärmung kann ein selbstständiges Öffnen des Verschlusses nicht ausgeschlossen werden“
Linée Ananas-Zitronengras (Gerolsteiner)
Geschmack: Liegt mitten im Tai-Boom. Wenn man das Zitronengras in der Suppe hat, kann es im Glas ja nicht schlecht sein. Die Ananas dazu ist vielleicht ein bisschen intensiv.
Surplus: Laut Hersteller: „Stützt den Blutzuckerspiegel, stabilisiert den Energiehaushalt und stärkt den Stoffwechsel.“ Man kann auch sagen: sieht irgendwie sportlich aus in der Frauenhand, auch wenn es nur eine getarnte Limonade ist.
Bonaqua Apfel-Birne
Geschmack: Konnte leider nicht verkostet werden, da die Testflasche versehentlich vom taz-Hausjuristen geleert wurde. Und zwar bis auf den letzten Tropfen.
Surplus: Scheint durchaus durstlöschend zu sein.
Moment Grüntee & Traube (Gerolsteiner)
Geschmack: Die Spur der Traube verliert sich so ein bisschen in einem Meer von Grüntee. Der allerdings ist überraschend angenehm – kann allerdings nicht so recht über den Preis hinwegtäuschen.
Surplus: Laut Hersteller wird mit dem Getränk die „Blitzpause zum unbeschwerten Genuss“. „Sie tauchen kurz ab.“ Ob man nun aber wirklich so viel vom Moment trinken und bezahlen will, dass es zum Tauchen reicht?
JUDITH LUIG, 33, ist taz.mag Redakteurin und trinkt ihr Wasser mit Kohlensäure. MARTIN REICHERT, 35, ist taz.mag Redakteur und trinkt am liebsten Kranenberger