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Archiv-Artikel

Obama will den Schubs

Wechseljahr 2008 (22): Wie fühlt sich Amerika? Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation

Eigentlich ist es selbstverständlich: Gegen Hillary Clinton rückte Barack Obama nach links. Gegen John McCain geht es nun darum, wer das Zentrum des ideologischen Spektrums ergattern kann. Linke Obama-Beobachter hatten schon von Anfang an gewusst, dass er nie so ganz links war; sie waren eher Befürworter von John Edwards, der sich seit seiner Niederlage als Vize in spe vor vier Jahren zu einem ungemein couragierten Bekämpfer der Armut in Amerika entwickelt hatte.

Nun jongliert Obama, um den kollidierenden Interessen unterschiedlicher Wählergruppen entgegenzukommen und zugleich die ständige Kritik aus McCains Lager zu parieren – und all das ohne allzu professorenhaft zu wirken. So sagt er im Geiste Edwards, er möchte gegen die gegenwärtige „winner-take-all“-Situation etwas tun, in der jegliches Wirtschaftswachstum nur den Reichen zugutekommt. Und er will in guter demokratischer Tradition, dass die Regierung in die Wirtschaft investiert und eingreift – was aber schwieriger wird im Zeitalter der Konkurrenz aus Indien und China. Heikel bleibt das Thema der Steuererhöhungen für Firmen. Unter dem cleveren Druck von McCain, der diese klassische demokratische Taktik als katastrophal für den Markt sowie für den armen Durchschnittsmann bezeichnet, will Obama nun auf einmal die Firmensteuern doch reduzieren. McCain lacht. Obamas vages Versprechen käme der Vermeldung gleich, er sei ein Befürworter „von Kätzchen, Hündchen und Sonnenschein“.

Obama ist für den freien Markt, möchte aber ein Hauch von Sozialdemokratie integrieren. Er ist beeinflusst von den Ideen des Juristen Cass Sunstein, der eine Schule von „behavioralist“ (d.h. verhaltensorientierter oder gar: verhaltenstherapeutischer) Wirtschaftstheorie entwickelt. Sie hält der alten Schule, die von einem rational entscheidenden Individuum ausging, entgegen, dass die meisten Menschen nicht rational handeln. Mann müsste ihnen einen kleinen „Nudge“ (Schubs) – so der Titel eines neuen Buches – geben.

Die Prämissen sind interessant: Menschen tendieren dazu, überoptimistisch zu sein. Daher resultiere auch die Hypothekenkrise – hier schlägt Obama vor, nicht die Verschuldeten direkt zu retten, aber auf jeden Fall die Hypothekfirmen in Zukunft zu zwingen, Risiken transparenter zu machen. Und: Menschen tendieren dazu, träge zu sein und gegen ihre eigenen Interessen zu handeln. Hier brauchen sie eben einen kleinen Schubs. Man darf sie zu nichts zwingen, aber sollte ihre Situation so gestalten, dass sie gesündere Optionen wählen. Obst in Augenhöhe präsentieren, statt Kuchen zu verbieten. Das heißt übersetzt, dass Arbeitnehmer automatisch in Renteninvestitions- und Gesundheitsversicherungspläne eingetragen werden, anstatt sich dafür entscheiden zu müssen. Wer herauswill, kann das. Der Faule bleibt drin. Und das ist gut für ihn.

Ironisch, aber wahr: Die meisten Menschen sind passiv. Aber sie müssen das Gefühl haben, dass sie nicht dirigiert werden und immer die freie Wahl haben. Das aber darf in einem Wahljahr nicht zu deutlich gesagt werden.

DAGMAR HERZOG, geboren 1961, Historikerin, forscht unter anderem zum Aufstieg der religiösen Rechten in den USA