: „Ich frage nach“
PERSON: Heike Heinenberg, geb. 1940, geschieden, 2 Kinder, lebt in Hamburg.
TAT: Arbeitet als ehrenamtliche Patin für die Novalis-Stiftung. Sie unterstützt junge Mütter in jenen Momenten, die für die Zukunft der Kinder entscheidend sein werden. Die ausgebildete Kindergärtnerin baute in einem Vorort von Hamburg eine Kindertagesstätte auf und leitete diese 16 Jahre lang.
Der taz-Panterpreis für besonderes soziales und politisches Engagement ist mit zweimal 5.000 Euro dotiert und wird in diesem Jahr zum vierten Mal verliehen. Den einen Preis vergeben Sie, die Leserinnen und Leser der taz.
Ab dem 19. Juli können Sie Ihre Nummer 1 wählen. Die Preisverleihung findet am 13. September im Haus der Kulturen der Welt in Berlin statt.
Infos: www.taz.de/panter
Heike Heinenberg ist ehrenamtliche Patin für ungeborenes Leben. Sie unterstützt junge Mütter. Die taz-Panterkandidatin (6)
Eine Ersatz-Oma sei sie nicht, stellt die
lachende 67-Jährige gleich zu Anfang klar. Die adrett gekleidete Dame im Ruhestand ist oft zu Besuch. Doch nicht zu Bridge oder Tee, sondern bei überforderten Müttern. Weil sie ungeborene Leben in sich tragen und erst vage erahnen, was sie erwartet. Weil sie bereits ein oder mehrere Kinder haben und doch wieder vom selben Mann schwanger sind – obwohl er von ihr und den Kindern nichts wissen will. Das sind kleine Familien mit Mutter und Kind. Oder klassische mit Mutter und Vater, die aber dennoch nicht wissen, wie sie ein weiteres Kind aufziehen sollen.
Gemeinsam ist ihnen die Verzweiflung. Und dass sie sich bei der Novalis Stiftung in Hamburg melden. Heike Heinenberg ist eine der ehrenamtlichen Betreuerinnen, die für die Stiftung hilfesuchende Mütter nicht nur berät, wie sie betont, sondern begleitet. Das bedeutet, die Frauen zu besuchen, Zeit mit ihnen zu verbringen, zu reden und ihnen zur Seite zu stehen. Die ausgebildete Kindergärtnerin begleitet die Mütter während der schwierigsten Zeit, für ein paar Monate, manchmal über mehrere Jahre hinweg. So lange eben, wie sie gebraucht werde, sagt die engagierte Rentnerin. Das sind Besuche, die wöchentlich ein paar Stunden dauern. Das ist Beruhigung für die Mutter und Schutz für das ungeborene Kind.
„Ich gebe keine Ratschläge,“ sagt Frau Heinenberg, „sondern höre zu.“ Viel wichtiger als altkluger Rat sei es, Mut zuzusprechen. Weil keine zuverlässigen Freundinnen oder verständnisvollen Nachbarn im Hintergrund stehen, weil das Netz der Fürsorge gerade jenen fehlt, die sich auch nicht auf den Mann verlassen können, für dessen Kind sie sich entscheiden.
Zwar gibt es heute mehr Hilfsangebote als in den Siebzigerjahren, als Heike Heinenberg Ähnliches erlebte. Und Familie bedeutet nicht mehr nur Vater, Mutter, Kind. Trotzdem fehle es den jun gen Müttern oft an emotionaler Begleitung. An jemandem, der ihnen bei der Entscheidung für oder gegen das Kind beisteht. Und bei einer Entscheidung für das Kind hilft, den neuen Alltag schrittweise zu organisieren. Heike Heinenberg fragt dann sachlich: „Wo ist das Problem?“ Überall, antworten die Mütter, die sich allein gelassen fühlen. Heinenberg hört in jenen Momenten ruhig zu, ordnet die Probleme und überlegt gemeinsam mit den Frauen, was zu tun ist.
Sie fährt mit den jungen Müttern zum Arzt, bastelt mit den Kleinen und hilft knappe Budgets zu planen. Fährt durch die Stadt für einen speziellen Schnuller, um die nächste Nacht der müden Familie zu sichern. Macht günstige Kindermöbel ausfindig. Telefoniert für einen Platz im Spielkreis, damit der Jüngste der Familie aus Afghanistan auch rechtzeitig Deutsch lernt. Das ist konkrete Unterstützung, die weder Gelder noch Beratung wettmachen können und die Familien stabilisiert.
Doch die Frauen sollen ihre Verantwortung nicht an die gutmütige ältere Dame delegieren, das würde sie nicht annehmen. Frau Heinenberg weiß sich abzugrenzen. Aus Prinzip siezt sie ihre Umgebung und hält so Distanz zu Geschichten, die ihr nahegehen und die fragile Balance zwischen Hilfe und Mitleid stören könnte. Ihre Unterstützung ist zwar bei jeder Frau anders, doch immer Hilfe zur Selbsthilfe. Sobald die Frauen allein zurechtkommen, zieht sich Heike Heinenberg zurück.
Nicht zuletzt ermutigt sie die Frauen, ihrem Beruf nachzugehen. „Arbeit ist heilsam und gibt Selbstbewusstsein“, erklärt sie, und ärgert sich, wenn die Mütter von heute immer noch ein schlechtes Gewissen haben. Schließlich gehe es den Kindern gut, wenn es deren Müttern gutgehe. Da war eine gut ausgebildete Mutter, die wieder arbeiten wollte, aber nicht wusste, wie. Heinenberg fragte nach: „Ihr Kind geht bis nachmittags in den Kindergarten– da ist doch Zeit?“ Nach fünf Jahren Auszeit braucht es Überwindung, wieder zu arbeiten. „Aber, das braucht vierzehn Tage Organisation,“ lautet da der pragmatische Kommentar der einst selber Berufstätigen. Es ist diese Bestimmtheit und der Erfahrungsschatz, mit der die lebendige Dame das Selbstbewusstsein der jungen Frauen zurückholt.
Wenn sie später hört, dass jene Mutter als Dozentin an der Uni lehrt, freut sie sich und strahlt. Das ist weder selbstlose Aufopferung noch eigennützige Beschäftigungstherapie. Sondern eine einfache Rechnung für Heike Heinenberg: Zwar genießt sie die geschenkten Stunden des Ruhestands, schläft morgens länger, frühstückt ausgiebiger oder malt mehr. Aber, wieso ein Leben lang arbeiten und lernen, um sich dann zur Ruhe setzen? Nein, da ist immer noch genügend Zeit, die sie gerne für einen guten Zweck verschenkt. GINA BUCHER