piwik no script img

Archiv-Artikel

Ein Sänger, der nicht reden darf

Weil sich Radio Bremen und ein Filmemacher nicht über ihre jeweiligen Nutzungsrechte einigen können, müssen zwei Filmdokumentationen über den Bariton-Star Thomas Quasthoff womöglich auf Dauer in den Archiven eingemottet werden

Fällt in diesem Prozess ein Urteil, dann werden zwei Filme über Thomas Quasthoff wohl für immer von der Bildfläche verschwinden. Thomas Quasthoff, den namhafte Dirigenten für den bedeutendsten lebenden Sänger halten, Thomas Quasthoff, den Bariton aus Hildesheim, Thomas Quasthoff, der heute Professor ist, aber einst nicht einmal an die Musikhochschule durfte – weil er contergangeschädigt ist. Und der heute ein Popstar nicht nur der Klassik ist.

Filmemacher Michael Harder kennt ihn noch aus Zeiten Ende der Achtziger Jahre, als Quasthoff beim NDR moderierte und davon träumte, einmal im Leben die Hauptrolle in einer Oper singen zu dürfen. Er werde es nie schaffen, sagte der Sänger damals – 2004 war es soweit: Im „Parsifal“ von Richard Wagner, aufgeführt in der Wiener Staatsoper.

Zwei Filme hat Harder über Quasthoff gedreht: Den 60-minütigen, für den Grimme-Preis nominierten Film „Die Stimme“, der vor allem eine Tournee Quasthoffs in den USA dokumentiert und 2000 das erste Mal bei Radio Bremen im Fernsehen lief. Und eine 90-minütige Langzeitdokumentation namens „The Dreamer“, die 2004 in der Wiener Staatsoper Weltpremiere feierte, kurz darauf bei 3sat lief und später noch einmal im ZDF. Und die exakt zehn Minuten und 30 Sekunden aus dem früheren Film zitiert, O-Töne von Quasthoff und seiner Familie. Genau diese Interviewausschnitte haben jetzt zu einem Rechtsstreit darüber geführt, ob nun Radio Bremen oder aber Michael Harder Inhaber der Nutzungs- und Verwertungsrechte des Films „Die Stimme“ ist. Und ob der Filmemacher jene Zitate in seiner späteren Eigenproduktion hatte verwerten dürfen oder nicht.

Das Landgericht sah Radio Bremen als alleinigen Hersteller, doch die Berufungsrichter am Oberlandesgericht (OLG) sehen das anders: Ihr Urteil, so der Tenor der gestrigen Verhandlung, würde darauf hinauslaufen, dass sich Sender und Filmemacher die Rechte „zur gleichen Hand“ teilen müssen, also jeder die Zustimmung des anderen braucht, ehe die Filme irgendwie genutzt werden dürfen. Ein Patt. Das hätte zur Folge, so das OLG, dass beide Werke „nicht weiter ausgestrahlt“ würden. Das könne man juristisch vertreten – „aber wer hat etwas davon?“

Der Sender sieht „Die Stimme“ als Eigenproduktion – ansonsten hätte er nach eigenem Bekunden „nie so viel Geld“ in den Film investiert. Die Rede ist von 120.000 Euro, doch auch das ist nicht so ganz klar. „Angst“ habe man, dass die Doku „kommerziell genutzt“ werde – ohne dass man selbst dabei mitrede. Harder wiederum sieht die Filme als „sein Lebenswerk“ – und zwar eines, dass ihn finanziell und privat „ruiniert“ habe. Viele Jahre lang habe er die Öffentlich-Rechtlichen für sein Projekt gewinnen wollen – vergebens. Zu unbekannt war Quasthoff seinerzeit, und als Gehandicapter überdies nicht telegen genug. Inzwischen hat die ARD einen neuen Film über ihn in Auftrag gegeben, wenn auch nicht bei Herrn Harder. Vor wenigen Tagen war er zu sehen.

Vor Gericht läuft alles auf einen Vergleich hinaus, nachdem Harder „The Dreamer“ und der Sender „Die Stimme“ nutzen darf. Einigen sich die beiden nicht, kommt am 30. September das Urteil. JAN ZIER