: Polizei unter Verdacht
Messerstiche gegen eine Sanitäterin, ein Kind mit ausgerenktem Kiefer, Tolerierung des Hitlergrußes – nach einer Nazidemo in Oldenburg werden schwere Anschuldigungen gegen die Polizei erhoben. Abgeordnete und Anwälte machen nun Druck
VON CHRISTIAN JAKOB
Schweren Vorwürfen sieht sich die Oldenburger Polizei ausgesetzt. Bei dem Großeinsatz wegen einer Nazi-Demo vor anderthalb Wochen sollen Demonstranten unter anderem durch Messerstiche schwer verletzt worden sein. Gegen die Polizei wurden Anzeigen erstattet, Parlamentarier wollen die Sache im Rechts- und Innenausschuss des Landtages zur Sprache bringen.
Am 5. Juli waren knapp 60 Neonazis aus verschiedenen norddeutschen Städten nach Oldenburg gekommen. Sie folgten dem Aufruf des Hamburger Kameradschaftsführers Christian Worch, der die Demo mit dem Motto „Soziale Gerechtigkeit für alle – gegen Politisierung der Polizei“ angemeldet hatte. Von 14 bis 15 Uhr zogen sie einen guten Kilometer weit vom Oldenburger Bahnhof zum Pferdemarkt und wurden anschließend zurück geleitet. Ihre Route war von 2.200 Polizisten weiträumig abgesperrt worden.
Schon Stunden zuvor hatten sich mehr als 1.200 Menschen zu Protesten in der Innenstadt versammelt. Gegen 15.30 Uhr wurde ihre Kundgebung aufgelöst. Etwa 200 Demonstranten zogen daraufhin in Richtung Hauptbahnhof. Kurz vor dem Bahnhofsvorplatz wurde die Gruppe von der Polizei gestoppt, weil sich im Bahnhofsgebäude noch Nazis befunden haben sollen. Als sie begann, die Antifas zurückzudrängen, eskalierte die Situation.
„Die sind immer wieder in die Demo rein, haben auf die Leute eingeschlagen und Pfefferspray versprüht“, sagt eine Augenzeugin. Flaschen und andere Gegenstände flogen Richtung Polizei, Demonstranten wurden herausgegriffen, es gab Verletzte. Ein 13-Jähriger wurde mit einem ausgerenkten Kiefer ins Krankenhaus eingeliefert. Nach Demonstranten-Aussagen wurde er von einem Polizeiknüppel ins Gesicht getroffen. Ein Polizeisprecher sagte zur Nordwest-Zeitung, der Junge habe sich „ohne Einwirkung eines Polizisten verletzt“.
Erheblich schwerer jedoch wiegt der Vorwurf, der im Zusammenhang mit der Stichverletzung einer jungen Demo-Sanitäterin im Raum steht. „Sie hat nur eine Messerklinge aufblitzen sehen, und den Stich in die Brust gespürt“, sagt ein Sprecher der Oldenburger Antirepressionsgruppe. Dann sei ihr von hinten ein „Schubs oder Schlag“ versetzt worden und sie sei ohnmächtig auf das Pflaster gefallen. Das Messer drang mehrere Zentimeter tief in ihren Brustkorb ein. Die junge Frau wurde in die Intensivstation eines Oldenburger Krankenhauses eingeliefert und musste zwei Tage dort bleiben. Auch ein weiterer Demonstrant hat sich bei der Auseinandersetzung in der Kaiserstraße Schnittwunden am Unterarm zugezogen. Nach Angaben der Anti-Repressionsgruppe soll es sich um zwei sechs Zentimeter lange, „saubere, glatte“ Schnitte handeln, die von einer Klinge stammen müssten.
„Wir konnten das auch nicht glauben und haben zuerst natürlich an Glasscherben oder sowas gedacht“, heißt es bei der Antirepressionsgruppe. Doch es gebe „mehrere Zeugen, die vehement darauf beharren, dass die Polizei hier Messer hatte“. Die Sanitäterin hat wegen des Vorfalls Anfang der Woche Anzeige gegen die Polizei erstattet. Auch die Oldenburger Rechtshilfe hat Anzeige erstattet – wegen Verdachts auf „Rechtsbeugung“, „gefährliche Körperverletzung im Amt“ und gar „versuchten Totschlags“.
„Messer gehören nicht zur Einsatzausrüstung der Polizei“, sagt dazu der Oldenburger Polizeisprecher Hans-Günter Gramberg. Ausschließen will er dennoch nicht, dass die Demonstranten durch Polizisten verletzt worden sein könnten. „Diese Schlussfolgerung kann man nicht automatisch ziehen“, es müssten die Ermittlungen des zuständigen Fachkommissariats abgewartet werden.
Besonderen Unmut der Gegendemonstranten erregte, dass einer der Nazis längere Zeit den verbotenen Hitlergruß zeigte und unmittelbar neben ihm stehende Polizisten nicht einschritten. Im Internet stehen mehrere Fotos, die den Nazi mit ausgestrecktem rechtem Arm zeigen. Direkt neben und hinter ihm stehen Polizisten, einer davon mit laufender Videokamera. Zunächst hatte ein Oldenburger Polizeisprecher gesagt, es sei unklar gewesen, ob es sich „möglicherweise um einen Wegzeig, in Richtung der Linken“ gehandelt haben könnte. Am Mittwoch erklärte die Polizei, es sei ein Strafverfahren eingeleitet worden, nachdem die Identität der Person geklärt werden konnte.
Insgesamt wurden an dem Tag zehn Gegendemonstranten in Gewahrsam genommen, gegen 27 sind Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Oldenburgs Polizeichef Johann Kühme hatte nach der Demo gesagt, er sei „zufrieden“ mit dem Einsatz.
Der grüne Landtagsabgeordnete Helge Limburg und der Linken-Parlamentarier Henning Adler wollen die Sache im Rechtsausschuss des Landtages thematisieren. „Die Vorwürfe haben doch einen so massiven Grad, dass wir wissen wollen, wie die Landesregierung dazu steht und was die Polizei selber dazu zu sagen hat“, sagt Limburg.