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Archiv-Artikel

Barack Obama hören

Hinter dem Sound von Obama steckt ein kluger Kopf, Jon Favreau, Redenschreiber, keine 30 Jahre alt, Karottenesser

WASHINGTON taz ■ Jon Favreau ist 26 und trinkt ohne Not Diet Coke. Nicht dick, nicht groß, nur jung und blass sieht er aus wie ein Schülerpraktikant. Das täuscht. Als sein Boss im Vorwahlkampf als erster Schwarzer einen weißen Bundesstaat gewann, fiel seinem Chefredenschreiber die legendäre Zeile ein: „Sie haben gesagt, dass dieser Tag niemals kommen würde!“

Jon Favreau mümmelt gerne industriell geschälte Karottensticks, aber er schreibt Sätze, die Millionen Menschen Gänsehaut machen. Allerdings nur, wenn sein Chef sie ausspricht. Dieselben Worte aus dem Mund von, sagen wir, Kurt Beck, wären schlicht – nun ja: nichts. Das macht einen guten Redenschreiber aus: Der Einklang des Schreibers mit dem Redner. Dabei ist Barack Obama zweifellos eine besondere Herausforderung, denn er hat selbst schon zwei Bestseller geschrieben und kann reden wie ein Kühlschrankverkäufer am Nordpol. Favreau sieht das sportlich: „Für ihn zu arbeiten, ist, wie Trainingspartner von Ted Williams zu sein.“ Der legendäre Schlagmann hatte seine beste Baseballsaison 1941. Lockere vier Jahrzehnte vor der Geburt „Favs“. Aber das Babyface, das auch der gepflegte Dreitagebart keinen Tag älter macht, kennt all die „Hitting Points“ der amerikanischen Seele.

Als Politikstudent hat er zu seiner Inspiration die Kennedys studiert und Martin Luther King. All die Stichwortgeber, mit denen nun Obama assoziiert wird – und mit denen sein Redenschreiber virtuos jongliert. Die beiden trafen sich erstmals 2004 auf dem Parteitag der Demokraten, als Obama hinter den Kulissen seine Rede zur Kür des Präsidentschaftsbewerbers John Kerry übte. Favreau, damals 23, arbeitete für Kerry und teilte Obama mit, dass der eine Formulierung ändern müsse, um eine Dopplung zu vermeiden. „Er sah mich an“, erinnert sich Favreau, „und dachte offensichtlich: Wer ist dieses Kind?“ Kurz darauf machte Kerrys Scheitern den Jungspund arbeitslos. Er schlich als „Freeloader“ durch Washington, auf der Suche nach Kontakten und kostenlosem Essen an den Buffets der Lobbyisten. „Dieser Wahlkampf, mit all den Bösartigkeiten, hat meinen Idealismus und Enthusiasmus für Politik zerstört. Es brauchte Barack, um das wiederzubeleben.“

Ein Jahr später arbeitete er für Obama. Von Anfang an waren der Menschenfänger und sein Zauberlehrling ein ungewöhnliches Duett. Als Obamas geliebte „White Sox“ Favreaus geliebte „Red Sox“ in der Baseball-Liga 2005 von der Platte putzten, ging der Senator mit einem kleinen Besen zum Tisch seines Chefschreibers, grinste ausführlich, und staubte ihn ab.

Favreau nutzte die Zeit, die es damals noch gab, um Obamas Ton zu meistern. Er schrieb alles mit, was der Senator sagte, und atmete es quasi ein. Wenn Favreau nun schreibt, spricht Obama aus ihm – seine Ideen, seine Art. Bis heute haben sie einen sehr direkten Draht. „Normalerweise bekommt ein Redenschreiber ein Stichwort, schreibt etwas auf, gibt es nach oben, da wird es von Beratern zerpflückt und geht wieder nach unten zurück.“ Er dagegen sitzt regelmäßig mit Obama zusammen, „er redet, ich schreibe es auf und feile, er schreibt und feilt, es ist eine viel intimere Art der Zusammenarbeit“. Das Echo dieser Reden hat eine Bewegung erzeugt wie sie Amerika lange nicht erlebt hat. Obwohl die Botschaft durchaus eine Zumutung enthält. „Wir können den Unterschied machen!“, ruft Obama wohl hundertmal am Tag. Im Klartext: „Machen wir uns an die Arbeit!“ Sein Redenschreiber kann sich nicht erinnern, wann er zuletzt sechs Stunden geschlafen hat.

KARIN DECKENBACH