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Archiv-Artikel

China mit dem Zug

Abenteuerliche Zugfahrt ins chinesische Lanzhou: Schon das Betreten des Wartesaals wird streng kontrolliert

Europa ist mit China per Eisenstrang über Ürümqui verbunden: Wer von Berlin kommt, passiert gut 500 Kilometer hinter dem russischen Saratow die europäisch-asiatische Grenze – in der kasachischen Steppe, weshalb sich Kasachstan auch „europäisch“ geben darf (und etwa Mitglied in der europäischen Fußballvereinigung Uefa ist). Moskau–Almaty–Ürümqui – der Zug erreicht China über die kasachische Südostgrenze.

Ürümqui ist die Hauptstadt der Provinz Xingjiang, der autonomen Provinz der Uiguren. Zugfahren funktioniert hier so: Will man etwa mit dem Express T296 nach Lanzhou im Herzen Chinas, muss man zunächst ein Ticket kaufen. Kann gut sein, dass ein freier Platz erst nächste Woche zur Verfügung steht. Hat man ein Ticket ergattert, so muss man sich spätestens eine Stunde vor Abfahrt im Wartesaal des T296 im Bahnhof einzufinden. Es gibt auch einen Wartesaal für den Zug 1306. Und einen für den T563. So viele Züge gerade auf der Abfahrtstafel stehen, so viele Wartesäle gibt es auch. Vermutlich wollen die Chinesen ausschließen, dass Reisende „versehentlich“ in die falsche Richtung fahren.

Um zum Wartesaal des Expresses T296 zu kommen, muss zunächst jene Kontrolle passieren werden, die kontrolliert, ob man überhaupt zum Betreten eines chinesischen Bahnhofs berechtigt ist. Es folgt die Gepäckkontrolle, damit klar ist: In den Taschen ist nichts Verbotenes. Hernach schließt sich die Wartesaalkontrolle an: Ist man berechtigt, den Wartesaal zu betreten? Falls ja, wartet man dann mit den anderen Reisenden auf die nächste Kontrolle: Zuerst entspannt, doch eine Dreiviertelstunde vor Abfahrt beginnt es ungemütlich zu werden. Die Leute beginnen, sich an den Ausgangstoren anzustellen. Es wird um Positionen geschubst, um Vorsprung gedrängelt.

Eine halbe Stunde vor Abfahrt werden die Pforten geöffnet – von weiblichen Beamten, die kontrollieren, ob man denn auch zum Passieren des Pförtchens berechtigt ist. Wer es nachweisen kann, darf nun auf den Bahnsteig hinauf – aber nicht ohne allerdings den Anweisungen der bereitstehenden Uniformierten Folge zu leisten. Hat man den Zug dann erreicht, folgt die nächste Kontrolle. Diesmal wird kontrolliert, ob man zum Besteigen des angesteuerten Waggons überhaupt berechtigt ist. Und das ist immer noch nicht das Ende: Im Zug werden schließlich die Pässe kontrolliert, damit sichergestellt ist, dass derjenige, der berechtigt war zum Betreten des Bahnhofsgebäudes und des Saales, zum Passieren der Ausgangspforte und der Einstiegstür des T296, auch wirklich dieselbe Person ist, die das Bahnhofsgelände betreten, im Wartesaal T296 Platz genommen … und so weiter … hat.

Zugfahren selbst funktioniert dann streng nach dem russischen System: Es gibt nur offene Liegewagen – mit sechs Prischen pro Abteil. In jedem Waggon gibt es nach russischem Vorbild zwei oder drei zuständige Schaffnerinnen, die mit denselben Rutenbesen über die Teppiche kratzen und heißes Wasser servieren – nur dass die Heißwassersysteme hier nicht als Samowar bezeichnet werden. Pünktlich um 22 Uhr wird in den Waggons das Licht gelöscht, ab 7 Uhr quillt westliche Popmusik aus den Lautsprechern.

In China allerdings sind die Züge sauberer, moderner, schneller als in Russland. Hatte man sich dort an das ermüdende Babam-babam der Schienenlücken gewöhnt, so fühlt man sich auf der restlichen Strecke nach Lanzou eher an den Intercity Dresden–Berlin erinnert. Die 1.500 Zugkilometer von Ürümqü nach Lanzhou waren schon nach 20 Stunden erreicht.

Selbstverständlich wird bei der Ankunft in Lanzhou als Erstes auf dem Bahnsteig kontrolliert, ob man zum Ankommen überhaupt berechtigt war. NICK REIMER