: Akt oder Architektur
Während die Weserburg den massenkompatiblen Aktfotografen Helmut Newton ausstellt, zeigt das Focke-Museum eine künstlerisch ambitionierte Werkschau von Andreas Feininger. Der war als Fotograf Autodidakt – doch seine Arbeiten durchzieht ein altmodisches Postulat von Schönheit
von JAN ZIER
Es ist eine Ausstellung, wie man sie im hiesigen Stadt- und Landesmuseum nicht erwarten kann. Oder wenigstens darf. Denn Andreas Feininger, den die Kuratorin des Bremer Focke-Museums, Ute Bernsmeier, „einen der weltbesten Fotografen“ nennt, hat keinerlei Bezug zu Bremens Historie. Zu Hamburg, ja: Dort schuf er Anfang der 30er Jahre Stadtporträts, in denen man schon die Anzeichen des aufkommenden Nationalsozialismus erkennen kann.
Aber Bremen? Nein, sagt Focke-Direktorin Frauke von der Haar – da irgendeine Beziehung herzustellen, sei zumindest sehr schwierig. Und, wie sie findet: unnötig.
Feiningers Werke seien ja „urban“ – in den Rang eines „Klassikers“ erhoben haben ihn vor allem seine Stadtansichten von New York, wohin er mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs emigrierte. Feininger (1906 – 1999), Sohn des gleichnamigen Expressionisten und Bauhaus-Lehrers Lyonel Feininger, war selbst gelernter Architekt, zeitweise Student von Le Corbusier. Als Fotograf aber ein Autodidakt.
Seine Themen kreisen indes nicht von ungefähr stets um Formen, um Proportionen, um Strukturen. Nicht nur in der Architekturfotografie, sondern auch dort, wo es um sein zweites großes Thema, die Natur, geht. Stets findet sich die Tektonik der Großstadt in der Natur wieder. Die Nahaufnahme einer Sonnenuhrmuschel könnte auch als ein von oben betrachtetes Treppenhaus durchgehen.
271 sämtlich in Schwarzweiß gehaltene Fotografien aus dem Fundus des Tübinger Feininger-Archivs zeigt „That’s Photography“ insgesamt, auf mehr als 800 Quadratmetern. Freilich waren seine Bilder schon an anderen Orten zu sehen, zuletzt vor gut einem Jahr in Halle. Und doch hat das Focke-Museum die Schau für Bremen neu kuratiert. Alle zwei bis drei Jahre zeige man Foto-Ausstellungen, sagt von der Haar. Ja – fast immer ging es um Bremensien. Oder irgendwelche BremerInnen.
Die Feininger-Ausstellung fällt in eine Zeit, da im Neuen Museum Weserburg parallel ein anderer, nun ja, „Klassiker“ der modernen Fotografie eine Werkschau bekommen hat: Helmut Newton (1920 – 2004), einst stark umstrittener und ob des sexistischen Gestus seiner Akte vielfach verfemter Modefotograf. Man könnte diese zeitliche Koinzidenz für eine konzertierte Aktion halten. Doch sie ist schlicht dem Zufall geschuldet.
Ihre Berechtigung erfährt die Newton-Ausstellung zunächst aus dem Umstand, dass die Bilder allesamt einer bislang nie öffentlich gezeigten Bremer Privatsammlung entstammen, deren BesitzerInnen indes ungenannt bleiben möchten. Vor allem aber bedient sie das in der Weserburg dringend benötigte Publikumsinteresse: Anfang des Monats kam bereits die 15.000 Besucherin, da lief die Ausstellung gerade fünf Wochen. 2006 fanden im ganzen Jahr nur 25.000 Menschen den Weg in die Weserburg, deren Existenz fortan als bedroht galt – nicht von ungefähr hatte Direktor Carsten Ahrens zum Amtsantritt Ende 2005 versprochen, die Besucherzahl zu verdoppeln. 2007, im Jahr der großen Immendorff-Retrospektive, zählte das Haus dann schon 40.000 Gäste. Das will getoppt werden. Naheliegenderweise geschieht das mit nackten Frauen.
Und da räkeln sie sich nun, fast immer splitterfasernackt, indes stöckelbeschuht, gerne vor luxuriösem Ambiente, den Mainstream und sein voyeuristisches Interesse, dazu allerlei sexuelle Mythologien bedienend. Als „überaus profund und zugleich verletzend“ beschrieb Newtons Frauenbilder einst der Redaktionsdirektor von Condé Nast, jener Verlag, der auch die Vogue herausgibt, bei der Newton einst Karriere machte.
Er „animalisiert“ Frauen – und auch Männer, die jene so dargestellten Frauen attraktiv fänden, sagt Ulrike Hauffe, die Landesgleichstellungsbeauftragte. „Er hat die Business-Frau in ihrer selbstbewussten Pose ausgezogen, und ihren Körper in eine demütigende Haltung gebracht“. Und auch wenn Kultursenator Jens Böhrnsen davon spricht, dass Newton „immer noch provoziert“: Entsprechende öffentliche Debatten oder gar Protestkundgebungen sind bislang weitgehend ausgeblieben, auch das überregionale Feuilleton fand die Schau kaum erwähnenswert.
Was bleibt ist der Eindruck handwerklich gut inszenierter, indes künstlerisch wenig inspirierter und inspirierender Fotografie. Ersteres verbindet Newton und Feininger – doch Letzteres unterscheidet sie ganz wesentlich. Feininger vermittelt bei aller inhaltlichen Stringenz, vielleicht sogar Enge, doch zugleich eine große atmosphärische Dichte. Es sind Bilder, die einem altmodischen Postulat der Schönheit folgen, zugleich Originalität und künstlerische Ausdruckskraft besitzen. Aber ungleich weniger Leute anziehen. Vielleicht ein paar Tausend, sagen sie im Focke-Museum.
Andreas Feininger: That’s Photography. Bis 28. September im Focke-Museum. Helmut Newton: Fotografien. Bis 31. Dezember in der Weserburg