: Ein Farbspektrum aus Schwarz und Weiß
Ausloten von Valeurs: Das Festival „Inventionen 2008“ präsentierte am Freitag in der Kirche St. Elisabeth französische Musik für zwei Klaviere. Im Zentrum des Programms stehen Möglichkeiten der Klangerzeugung und das Hören selbst
An die Klanginstallationen in der Villa Elisabeth nebenan erinnerten nur die Lautsprecher. Hochragend, würfelig, kugelig, in Schwarz oder Rot standen sie ohne Funktion im Altarraum der Kirche St. Elisabeth. Für das Konzert der „Inventionen 2008“ am Freitag blieb die Verstärkeranlage ausgeschaltet. Als Klangquellen dienten zwei Klaviere, umringt von reglosen Membranen.
Manchmal konnte man dennoch meinen, die Instrumente seien zusätzlich bearbeitet worden, so nuancenreich war der Klang. Das Festival „Inventionen“, gemeinsam vom Berliner Künstlerprogramm des DAAD und dem Elektronischen Studio der TU Berlin veranstaltet, hat sich der „Musik für mehr als einen Lautsprecher“ verschrieben. Im Mittelpunkt des Programms stehen die Möglichkeiten elektronischer und elektroakustischer Klangerzeugung. Dabei geht es immer auch um die Frage nach der Erneuerung des Hörens selbst. Konventionell, also rein akustisch erzeugte Klaviermusik mag da wie ein Fremdkörper erscheinen. Doch das Konzert der Pianisten Ancuza Aprodu und Franz Michel ergänzte die Konzertreihe um den wichtigen Aspekt des Hörens von Klangfarben. Dass die Werke dieses Abends allesamt aus Frankreich stammten, war kein Zufall. Die Sensibilität für das Arbeiten mit Klangfarben ist westlich des Rheins stark ausgeprägt. Die Vielfalt der Ansätze, das akustische Spektrum der schwarzen und weißen Tasten auszuloten, war beeindruckend.
Am Anfang dieser Tradition steht vor allem der Impressionist Claude Debussy. In seinem Zyklus „En blanc et noir“ aus dem Jahr 1915 erzeugt er mit rhythmisch versetzten Tonkaskaden schillernde Effekte, lässt mit heftigen Akkordattacken Obertonwolken aufwirbeln oder weitet den Raum durch die Kontrastwirkung von hoch und tief. Mit ähnlichen Extremen arbeitet Henri Dutilleux in seinen in den Siebzigern entstandenen „Quatre Figures de Résonances“. Dutilleux greift dabei auf harmonisch extremere Techniken wie Toncluster zurück.
Interessante Wechselwirkungen zwischen zwei Klavieren sind auch ohne Extreme möglich. In Georges Asperghis’ „Alter-Face“, der einzigen Komposition des Abends aus diesem Jahrzehnt, werden die beiden Instrumente so dicht verzahnt, dass sich die Töne zu einem Funkeln wie von unzähligen kleinen Leuchtkörpern massieren. Noch differenzierter arbeitet Pierre Boulez in seinen „Structures II“ von 1961, einer spektakulären Verbindung von serieller Kompositionstechnik und Klangfarbenexperiment. Die Pianisten müssen mitunter in rasend schnellen Passagen einzelne Noten in unterschiedlicher Lautstärke spielen, dabei entstehen Figuren von blitzender Schärfe. Ein Franzose, der sich besonders um die Verbindung von Musik und Farbe bemüht hat, ist der Synästhetiker Olivier Messiaen. Für ihn waren Klänge Farben. Seine frühen Werke versah er eigens mit Vorworten, in denen er diese Ideen formulierte und grafisch darstellte, so auch bei den im Jahr 1943 komponierten „Visions de l’Amen“. Der siebenteilige Klavierzyklus ist in mehrfachem Sinne ein monumentales Werk. Über fünfzig Minuten lang baut Messiaen eine Kathedrale aus Klang, der man oft nicht mehr anhört, dass sie auf einem tonalen Fundament ruht. Messiaen verwendet formelartige Akkordfolgen und Melodien, die er immer neu kombiniert und gern mit größter Wucht aufeinanderprallen lässt. Die Sinnlichkeit dieser Musik steigert sich in der letzten „Vision“ fast zur Reizüberflutung, bei der die immer schnelleren Akkorde in allen Valeurs strahlen.
Getrübt wurde der Farbenreichtum des Programms durch eine Panne rein mechanischer Natur. Einer der beiden Flügel war im mittleren Register leicht verstimmt, was den Klang metallisch einfärbte. Bis auf einen Besucher nahm das Publikum diesen unfreiwilligen Verfremdungseffekt gelassen hin. Ansonsten stimmte alles.
TIM CASPAR BÖHME
Bis 3. 8., verschiedene Orte Informationen: www.inventionen.de