: Oldenburg ohne Rabbiner
Er hatte sich verpflichtet, für zwei Jahre an einer Gemeinde des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen tätig zu sein. Jetzt verlässt Daniel Alter Oldenburg in Richtung Berlin
VON FELIX ZIMMERMANN
An diesem Wochenende hat die Jüdische Gemeinde Oldenburgs Besuch: Leo Trepp ist da, der 95-Jährige war der letzte Rabbiner dort, bevor die Nazis 1938 die Synagoge zerstörten und Trepp mit den Männern seiner Gemeinde ins KZ Sachsenhausen sperrten. Trepp wanderte später in die USA aus, wo er heute lebt. Einmal im Jahr besucht er Oldenburg für ein paar Tage. Die Stadt liegt ihm am Herzen, auch die Gemeinde. Heute, am Schabbat, wird Trepp dort im Gottesdienst predigen. Es wird der erste Gottesdienst mit rabbinischer Begleitung seit vier Wochen sein. Denn der bisherige Rabbiner der Oldenburger Gemeinde, Daniel Alter, hat die Stadt verlassen.
Der Vertrag mit Alter, der erst im September 2006 eingeführt worden war, endete am 31. Juli und wurde nicht verlängert. Er hatte sich verpflichtet, für zwei Jahre an einer Gemeinde des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen tätig zu sein, der seine Ausbildung am Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam mitfinanziert hatte. Diese zwei Jahre sind nun um, am 5. Juli leitete Alter den letzten Gottesdienst. Sein Büro und das Appartement im Gemeindehaus neben der Synagoge in der Wilhelmstraße hat er bereits aufgelöst.
Ganz leise ging dieser Abschied vonstatten, jedenfalls nach Außen. Die Öffentlichkeit wurde nicht gesucht – „warum auch?“, fragt die Gemeindevorsitzende, Sara-Ruth Schumann. Sie möchte Alters Amtsende als etwas Normales sehen und es so auch verstanden wissen. „Rabbiner kommen und gehen, die Gemeinde bleibt“, sagt sie.
Allerdings klingt dann doch ein wenig Enttäuschung durch, wenn man sie an Alters Anfang in Oldenburg erinnert. Mit viel Elan war er gestartet, wollte auf jeden Fall mit seiner Frau und den beiden Kindern dorthin ziehen, wie er damals sagte, „weil Distanz nicht gut tut“.
Damals, im Herbst 2006, war alles anders: Es gab viel Aufmerksamkeit für den neuen Rabbiner, viel mehr, als ihm vielleicht lieb war. Alter gehörte zum ersten Ausbildungsjahrgang des Abraham-Geiger-Kollegs, er war zugleich der erste Rabbiner, der nach dem Holocaust in Deutschland ordiniert worden war. Als das Interesse abflaute, begann er seine Arbeit – und muss bald gemerkt haben, dass Oldenburg zwar ganz schön ist, dass es aber nicht der Ort sein wird, an dem er mit seiner Familie würde leben können. Alter zog jedenfalls nicht nach Oldenburg und wurde zum Wochenendgast, kam zumeist nur für zwei Tage, blieb ansonsten aber zu Hause in Berlin.
Heute sagt er, Oldenburg sei eine „sehr einladende Stadt“, aber die kleine jüdische Gemeinde mit ihren 320 Mitgliedern könne nicht die Infrastruktur bieten, „die ich gerne hätte für meine Familie“. Die Alters legen Wert auf einen jüdischen Kindergarten und eine jüdische Schule, das und noch viel mehr finden sie in Berlin, dessen jüdische Gemeinde mittlerweile auf mehr als 12.000 Mitglieder angewachsen ist. Eine neue Anstellung hat Alter noch nicht, will aber weiter als Rabbiner arbeiten. Vorerst sei er „fulltime dad und Ehemann“; er ist zuversichtlich, nach den hohen jüdischen Feiertagen im Oktober wieder in einer Gemeinde tätig zu werden.
Sara-Ruth Schumann attestiert Alter, er habe gute Arbeit geleistet. Aber die Gemeinde hätte es eben gerne gehabt, wenn er mit seiner Familie in die Stadt gezogen wäre. Unterricht für Kinder und Erwachsene, Beerdigungen, Seelsorge – das alles ließ sich nicht auf den Donnerstag legen, an dem Alter für gewöhnlich anreiste. Deshalb wollte sich Schumann auch nicht darauf einlassen, Alter auf Honorarbasis zu beschäftigen. „Im Süden des niedersächsischen Landesverbandes haben wir mit Jonah Sievers einen Rabbiner, für den Norden brauchen wir auch einen“, sagt Schumann, und zwar einen, der dauerhaft präsent ist. Von Oldenburg aus wird auch die Delmenhorster Gemeinde versorgt, Sievers ist für Braunschweig und weitere Gemeinden der Region zuständig.
Schumann geht nun auf die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin. Weil ihre Gemeinde liberal ausgerichtet ist, dürfen dort – im Gegensatz zu orthodoxen Gemeinden – auch Rabbinerinnen arbeiten, so wie Bea Wyler, Alters Amtsvorgängerin. „Hauptsache ist, dass er oder sie zu uns passt“, sagt Schumann. Bis sie fündig geworden ist, werden Studenten des Geiger-Kollegs Oldenburg vertretungsweise versorgen.