Ich rauche. Ich habe einen Einfall

betr.: „Die Welt in Schach halten“

Im Leben eines Süchtigen ist die Droge immer integraler und nicht wegzudenkender Bestandteil seines Lebens. Solcher Art abhängig kann man sich ein Leben ohne nur schwerlich vorstellen. Hier von „Selbstbestimmung“ zu reden, ist ein besonders niedlicher Fall von Selbstbetrug. Der Raucher hat keine Wahl. Er muss rauchen. Deswegen reagieren viele so empfindlich auf Verbote.

Das schreibt jemand, der 20 Jahre jeden Tag mindestens 20 Zigaretten geraucht hat, also insgesamt so ungefähr 146.000. Damit habe ich zirka 12.166 Stunden mit Rauchen zugebracht. Kein Wunder, das einem das Leben danach so sinnlos vorkommt.

In der Zeit habe ich jede Menge Dinge gelesen, geschrieben, Kinder gezeugt und aufgezogen, Mauern eingerissen, Putz gestemmt, unterrichtet, tolle Musik gemacht, Partys gefeiert, gemalert, geweint, zig Kilometer gejoggt, einige Zeit in Krankenhäusern verbracht … und all das eigentlich nie ohne Zigarette. Sie hat mein Leben begleitet, die einzelnen Sequenzen eingerahmt und dem Leben einen Sinn verliehen. „Was jetzt?“, „Komm, wir rauchen eine …“

Und danach: Ging alles genauso weiter. Nur besser.

Rauchen ist ein Aufschub oder ein Anhalten des Zeitstroms. Wenn dem Dichter nichts einfällt, tut er nicht nichts, sondern er raucht. Gleich wird er weitermachen, gleich wird er wissen, wie der Satz lauten muss, gleich … Deswegen verwechseln die Dichter Rauch und Inspiration: Ich rauche. Ich habe einen Einfall. Ich habe einen Einfall, weil ich rauche. Wenn der Polier auf dem Bau den Studenten beim Nichtstun erwischt, kann der schlecht behaupten, er denke. Hat er aber eine Zigarette in der Hand, bleibt er unbehelligt.

In 50 Jahren wird das Rauchen nur noch ein Thema in den Wochenendbeilagen der Zeitungen und kulturwissenschaftlicher Doktorarbeiten sein. TÖNS WIETHÜCHTER, Berlin