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Archiv-Artikel

Tempelhof und wir

Beim Grillen

Es geht um gleich fünf Existenzen an diesem Abend. Zunächst noch zu viert haben wir uns auf einer etwa zwei Quadratmeter großen Fläche in einem Neuköllner Innenhof zum Grillen zusammengepfercht. Trinken Martini rot, essen Sojawürstchen und sind auch sonst durch und durch Teil jener seltsamen Gruppe von Menschen, die einen Universitätsabschluss haben, dafür noch ohne allzu viel Probleme acht Jahre brauchen konnten und die sich jetzt nicht entscheiden können, ob sie einen sinnvollen Job suchen oder doch nur einen, der Geld bringt, und die beides nicht finden.

Abends wird erschöpft der Grill angeschmissen. Sojawürstchen gegen den Mainstream, Martini rot gegen die Verzweiflung, Grillen gegen die Tatenlosigkeit. Es gibt Schlimmeres. Und was machen wir jetzt aus diesen Leben? Mal ’ne andere Frage, sagt eine, und da kommt die fünfte Existenz ins Spiel. Was wird eigentlich aus Tempelhof? Tempelhof, richtig. Sagen wir, und es fällt uns wie Schuppen von den Augen. Dass wir das nicht früher gesehen haben. Tempelhof: eine von uns. Fast könnte man sagen: Wir alle sind Tempelhof. Tempelhof, Inbegriff der postmodernen, arbeitslosen Mittelklasseadoleszenz. Mehr oder weniger arbeitslos und die Zukunft heißt Einkaufzentrum und grüngrasighippieesker Erholungspark; zumindest perspektivisch liegt hier die Arbeit.

Das Leben ist eben eher Tempelhof als Ponyhof. Dabei wollte ich immer schon mal einen Ponyhof aufmachen, sagt eine und kriegt leuchtende Augen ob dieser vielversprechenden Vision vor Augen: Ponyhof auf Tempelhof. Mit vier Mitarbeiterinnen. Da tut sich eine Perspektive auf. Ponytempelhof. Der Abend hat sich gelohnt, für alle Beteiligten.

JUDITH POPPE