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Archiv-Artikel

Keiner frisst den Tiger

Eine Reihe aus Korea weckt Kinderneugier. Und liefert Nachworte, die Eltern erfreuen

Kinder wollen’s wissen. Häufig so genau, dass Eltern an ihre Grenzen stoßen. Die greifen dann gerne zu Sachbüchern. Dabei stehen Bücher mit vielen Klappen, Aufklebern oder ähnlichen Spielereien hoch im Kurs. Oft gleicht die Seitengestaltung einem Potpourri aus Bildern, Infos und Klappen, das weder vernetzt noch linear zu erschließen ist, Vorlesen wird zur Qual.

Nimmt man den Kindersachbuchmarkt genauer unter die Lupe, macht sich schnell Enttäuschung breit. Gute Sachbücher produzieren ist teuer. Für die Verlage ist es günstiger, ausländische Titel zu erstehen. Schön, dass der Fischer Schatzinsel Verlag in Korea fündig geworden ist. Die in diesem Jahr herausgekommene Sachbilderbuchreihe „Kleine Entdecker – Sachbilderbücher für erstes Wissen“ ist eine echte Entdeckung.

Ganz besonders geglückt ist der Band „Fressen Tiger Gras?“, der Kindern ab vier Jahren Nahrungskette und Ökosystem erklärt. Friedlich steigt das Buch ins Thema ein: Die Sonne scheint, Grashalme recken sich gen Himmel, ein Tiger liegt schlafend am rechten Bildrand. „Gras frisst das Sonnenlicht. Tiger fressen kein Gras. Gras ist kein Futter für den Tiger.“

Sprache und Bildaufbau sind einfach und eindeutig. Nun gesellt sich zu Gras und Tiger ein Tier nach dem anderen, die Sätze werden länger. Als Frösche durch den Bildraum hopsen, schaut sich der Tiger immer noch verschlafen um: Nichts zu fressen für ihn dabei! Er wendet sich ab und schlummert weiter. Der Storch tritt hinzu, frisst die Frösche, auch das lässt den Tiger kalt. Bis der Fuchs kommt: Nun hechtet der Tiger durchs Bild, denn Füchse sind Fressen für den Tiger! Nur den Tiger frisst keiner. Aber auch er stirbt eines Tages. Sein Körper zerfällt und wird zu Erde, auf der Gras wächst. Der Kreis schließt sich.

Wie komplex dieser Kreislauf, der eigentlich ein verflochtenes Netz darstellt, wirklich ist, lassen Text und Bilder erahnen. Dass die Welt nicht voller Tiger ist, obwohl es keine Tiere gibt, die Tiger fressen, wird anhand der Nahrungspyramide anschaulich gemacht. So können Kinder im Kindergartenalter schon erkennen, wie wichtig es ist, dass in der Natur ein Gleichgewicht erhalten bleibt. Alles hängt voneinander ab und bedingt sich gegenseitig.

Wie die Pyramide kollabiert, wenn eine Tierart ausstirbt, zeigen die Illustrationen von Se-Yeon Jeong sehr eindrücklich. Seine ästhetisch ansprechenden Bilder sind aus einer Mischung aus Malerei und Collage aus Tapeten oder bemaltem Papier gestaltet, die der Einfachheit des Textes entsprechen und trotzdem einen eigenen künstlerischen Ausdruck haben. Auf den letzten Seiten befindet sich ein Nachwort, über das sich auch Eltern freuen können. Der Biologe Gil-Won Kim beschreibt darin das Thema differenzierter und erweitert es auch um den Einfluss des Menschen auf die Nahrungskette. Wer besonders wissbegierige Kids hat, wird hier mit nötigen Zusatzinfos ausgerüstet und lernt selbst noch etwas dazu. Nie mehr verzweifeln, wenn die Warumfragerei nicht enden will!

SARAH WILDEISEN

Kleine Entdecker, Sachbilderbücher fürs erste Wissen: Hyeon-Jeong An: „Fressen Tiger Gras?“ Über Nahrungskette und Ökosystem. Bilder: Se-Yeon Jeong. Hyeon-Suk Kim: „Alle sind am Anfang klein“. Wie Lebewesen sich verändern, wenn sie wachsen. Bilder von Seung-Gyeong Noh. Seong-Eun Kang: „Bleibt die Zeit auch manchmal stehen?“ Über unseren Zeitbegriff. Bilder: Seung-Man Oh. Hye-Suk Uhm: „Wie die Tiere miteinander reden“. Über die verschiedenen Arten der Tierkommunikation. Bilder: Do-Yeon Kim. Mi-Gyeong Kim: „Wohin reist der Blütenstaub?“ Wie Pflanzen sich vermehren. Bilder: Yeong-Rim Lee. Alle übersetzt von Hans-Jürgen Zaborowski. Fischer Schatzinsel 2008, jeweils 12,90 €.