„Die Franzosen sagten, wir sollten Tutsi töten“

Vergewaltigungen, Mordaufträge, Folter: Augenzeugen des Völkermordes erinnern sich an Frankreichs Militäreinsatz

BERLIN taz ■ Als die französischen Soldaten am 23. Juni 1994 in Cyangugu landeten, wurden sie von den Mordmilizen als Freunde empfangen. „Kaum hatten sie die Grenze überschritten, verteilten sie Granaten, Gewehre und zweischneidige Macheten“, erinnert sich der einstige Milizionär Jean Ndihokubwayo in seiner vom Mucyo-Bericht dokumentierten Zeugenaussage. Um den Ort der zukünftigen französischen Basis zu sichern, „befahlen sie uns, das Gelände abzusuchen und Feinde aufzuspüren, also Tutsi, die sich im Busch versteckt halten könnten, und sie mit der Machete zu töten. Tatsächlich haben wir im Busch Tutsi getötet. Die Zahl der Morde nahm zu, es gab viele Leichen im Ruzizi-Fluss. Die Franzosen sagten, wir seien dumm, die Leichen an der Wasseroberfläche treiben zu lassen, denn wenn jemand Fotos machen würde, gäbe es ein Problem. Also haben sie uns gezeigt, wie man Leichen versenkt. Sie stiegen in Boote und fuhren zu den Leichen, die sie mit Bajonetten aufschlitzten.“

„Sie gaben uns rote Stirnbänder als Erkennungszeichen und sagten, wir sollten ihnen helfen, die Sicherheit zu gewährleisten“, erinnert sich Thomson Mubiligi, damals Interahamwe-Milizionär in Cyangugu. Cassien Bagaruka, Feuerwehrmann am Flughafen der ruandischen Grenzstadt, berichtet: „Ich habe gesehen, wie französische Militärs gefesselte Tutsi zum Flughafen brachten, um sie vom Hubschrauber in den Kivu-See zu werfen.“

Unter Kommando von Didier Thibaut, alias Tauzin, übernahmen die Franzosen die Kontrolle von Nyarushishi, ein Camp vertriebener Tutsi. Die Rettungsaktion entpuppte sich als etwas anderes, erinnert sich Milizionär Jean-Bosco Habimana: „Die Franzosen beauftragten uns, ihnen Tutsi-Frauen und -Mädchen zu bringen. Es mussten Tutsi-Mädchen sein, weil es dann keine Probleme geben würde, wenn die Leute von den Vergewaltigungen erfuhren. Hutu-Mädchen zu bringen war streng verboten. Im Gegenzug gaben sie uns Lebensmittelrationen“. Der Milizionär fährt fort: „Ich brachte eine 19-Jährige namens Mukan. Sie wurde von einem französischen Soldaten vergewaltigt, aber dann wollte er mir nichts geben. Ich wurde wütend, ging zu seinem Chef und sagte, ich würde das Mädchen umbringen, wenn ich meine Ration nicht kriege. Er sagte, das könne ich ruhig tun, das gehe ihn nichts an.“

Im Dorf Rubengera suchten versprengte Tutsi bei den französischen Soldaten Schutz. „Drei Tage später sahen wir, wie die französischen Militärs diese Tutsi-Flüchtlinge zu einem Büro eines ermordeten Priesters brachten, in einer etwas entlegenen Ecke“, erinnert sich Dorfbewohner François Rudakubana. „Später sahen wir einen Lastwagen voll Leichen wieder zurückfahren. Die Franzosen schafften die Leichen in den Wald von Gafumba.“ Ein ehemaliger ruandischer Soldat berichtet: „Wir kamen zur Schule, und zwei französische Militärs sagten uns, sie hätten Arbeit für uns. Sie zeigten uns eine Gruppe von 9 bis 13 Tutsi, deren Hände auf dem Rücken mit blauen Bändern gefesselt waren. Sie sagten uns, wir sollten sie hinter die Schule bringen und umbringen. Wir töteten sie mit Knüppeln und brachten sie auf den französischen Militärlastwagen nach Gafumba.“

Am 3. Juli traf sich ein französischer Oberst mit Gemeindechefs im Gebäude des Hilfswerks SOS Gikongoro im gleichnamigen südruandischen Distrikt und warnte, die Tutsi der RPF seien im Begriff, den Distrikt zu „infiltrieren“. „Sie wiesen uns an, der Bevölkerung zu befehlen, die Straßensperren aufrechtzuerhalten“, erinnert sich Désiré Ngezahayo, damals Bürgermeister von Karama. „Also haben wir die Kontrollen verstärkt, und immer wenn wir einen Tutsi aufspürten, wurde er sofort getötet.“

Zahlreiche Augenzeugen erinnern sich außerdem daran, wie französische Soldaten im Distrikt Gikongoro Tutsi-Zivilisten verhafteten, fesselten, in Hubschrauber brachten und anderswo im Tiefflug abwarfen, beispielsweise im Naturpark des Nyungwe-Regenwaldes. „Ich arbeitete auf meinem Feld“, erinnert sich der Bauer Damien Bizimana aus dem Dorf Shaba am Waldrand. „Ich sah einen Hubschrauber. Ich dachte, er würde landen, aber als er sich über dem Fluss befand, wurde eine Person hinausgeworden. Der alte Misigaro rief unseren Ortsvorsteher Rukwavu. Der rief mich und sagte mir, ich soll diesen Dreck wegmachen. Der Mann hatte nur eine Unterhose an, die Augen waren verbunden, und er hatte überall Wunden.“ Ein anderer Augenzeuge, Edouard Mpatsinguge, ergänzt: „Rukwavu haute ihn mit einem Knüppel und sagte, das ist ein Tutsi, den die Franzosen uns geschenkt haben. Dann sagte er, wir sollten dem Beispiel der Franzosen folgen und ihn töten.“

DOMINIC JOHNSON