piwik no script img

Knastrevolte im Off

Häftlingsorganisationen vermelden einen bundesweiten Hungerstreik von mehr als 500 Gefangenen. Die Behörden weisen dies einhellig als Falschmeldung zurück. Aus den Gefängnissen erhalten die Unterstützer keine Infos

Es wäre eine enorme organisatorische Leistung: „537 Gefangene in 29 Haftanstalten der BRD treten vom 1. bis zum 8. August in einen Hungerstreik“ teilten Anfang der Woche die „Interessenvertretung Inhaftierter“ (IvI)– eine Art Häftlingsgewerkschaft aus Nordrhein-Westfalen –, das „Anarchist Black Cross“ und verschiedene Ortsgruppen der „Roten Hilfe“ mit.

Die Aktion richte sich gegen Isolationshaft, die Kontrolle privater Korrespondenz, das Instrument der Sicherheitsverwahrung und Zwangsarbeit im Knast. Unter den bestreikten Anstalten sollten auch die norddeutschen Gefängnisse Hamburg, Bremen, Oldenburg, Vechta, Sehnde in Niedersachsen und Neumünster in Schleswig-Holstein sein. Um die Inhaftierten zu unterstützen gab es in dieser Woche Solidaritätskundgebungen in vier deutschen Städten – darunter auch in Hamburg. Am Dienstagnachmittag versammelten sich etwa 80 Menschen vor dem U-Haft-Gebäude am Holstenglacis und hängten Anti-Knast-Transparente an den Gefängniszaun. Redner verlasen eine Erklärung der „Interessenvertretung Inhaftierter“ in der „Schikane, Rechtsbeugung und Psychoterror in deutschen Haftanstalten“ kritisiert wurde.

Eine konzentrierte Knastrevolte derartigen Ausmaßes wäre die größte Aktion dieser Art in der Bundesrepublik. Doch ob die Mobilisierung durch Rundbriefe der IvI tatsächlich so erfolgreich war, ist offen. Die Justizbehörden in Hamburg und Bremen sowie das Justizministerium in Hannover zumindest winken ab: Es seien „keinerlei Streikaktionen bekannt“ heißt es unisono, und diese wären – im Gegensatz zu Berlin – definitiv unmittelbar meldepflichtig. Im Bremer Justizressort weiß man immerhin, dass der Streikaufruf der IvI im dortigen Gefängnis aufgetaucht sei – ohne dass ihm jemand Folge geleistet hätte. Lediglich das bayrische Justizministerium bestätigt einen Hungerstreik in einem Abschiebeknast – der allerdings nicht mit den IvI-Protesten in Verbindung stehe.

Die Unterstützerszene wundert dies nicht: „Es ist klar, dass die das nicht zugeben“, sagt eine Aktivistin aus Hamburg, die seit Jahren einen politischen Gefangenen in Niedersachsen betreut. „Eine solche Aktion setzt die Behörden natürlich unter Druck. Schließlich müssen die dann erklären, warum überhaupt protestiert wird“, meint auch ein Redakteur der Häftlingszeitung Mauerfall.

Doch auch die Dresdner Ortsgruppe der Solidaritätsorganisation „Rote Hilfe“, die die Infos über den Streik bundesweit koordiniert, kann die IvI-Angaben derzeit nicht substantiieren. „Wir haben seitdem der Streik begonnen hat, noch keine Nachrichten aus den Knästen gekriegt“, sagt eine Sprecherin. Der Bielefelder Anwalt Jens Lohrengel, der eine in Bielefeld inhaftierte IvI-Aktivistin vertritt, hat von der Aktion gehört, kann aber nicht bestätigen, ob seine Mandantin daran teilnimmt. Wolfgang Lettow vom „Gefangeneninfo“ erklärt dies mit der in den Anstalten üblichen Zensur: „Die Kommunikation läuft natürlich immer unter den Augen und unter der Fuchtel der JVAs. Das macht alles ziemlich schwierig.“ CHRISTIAN JAKOB

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen