piwik no script img

Archiv-Artikel

Georgien ist kein unschuldiges Opfer

betr.: „Russlands unbedingter Wille zur Macht“, taz vom 13. 8. 08

Der Kommentar von Frau Oertel zeigt eine ziemlich einseitige Sichtweise auf den Konflikt im Kaukasus. Sicherlich kann man das militärische Vorgehen Moskaus gegen Georgien als unverhältnismäßig betrachten. Unverhältnismäßig ist es aber auch, kein Wort zur Verantwortung der georgischen Führung am Ausbruch des Konfliktes zu verlieren. Die Kämpfe zwischen Georgiern und Südosseten seit Anfang August, der Beschuss der südossetischen Hauptstadt Zchinwali und der Vormarsch der georgischen Truppen bleiben unerwähnt. Der Kommentar aber erweckt den Eindruck, dass der Konflikt erst mit der Reaktion der russischen Truppen begann. Der parallele Konflikt um Abchasien, der sich auch immer weiter zugespitzt hat, bleibt unerwähnt.

Sicherlich geht es den Russen nicht um das Selbstbestimmungsrecht von Osseten und Abchasen, wie wenig sie von separatistischen Tendenzen halten, konnte man in Tschetschenien sehen. Aber man muss doch zu einem erheblichen Maß auch die Schuld bei der georgischen Regierung suchen und auch die Konflikte Anfang der 90er nicht ausklammern. Wie die taz in derselben Ausgabe im Report auf Seite vier richtig ausführt, haben die Georgier seit ihrer Unabhängigkeit von der UdSSR eine auf Assimilation beruhende Politik den Minderheiten gegenüber betrieben.

Natürlich hat die russische Regierung den Konflikt auch in Abchasien seit langem angeheizt. Aber der Wunsch von Abchasen und Südosseten, unabhängig von Georgien zu sein, ist eindeutig und sollte doch auch respektiert werden. Das UN-Flüchtlingshilfswerk spricht von insgesamt 100.000 Vertriebenen, davon 12.000 Binnenvertriebene in Südossetien, laut russischen Angaben haben sich 30.000 Menschen nach Südossetien geflüchtet.

Sicherlich ist das Vorgehen Russlands zu verurteilen, aber Georgien ist nicht das unschuldige Opfer. Und wenn den Kosovaren nach dem Konflikt mit Serbien nicht mehr zugemutet werden kann, einen Staat mit den Serben zu teilen, gilt dasselbe dann nicht auch für Abchasen und Südosseten? CLAUS SCHOEN, Leipzig