: Eine Tauschbörse für Anstecknadeln
Die wahren Trophäen eines Athleten sind nicht unbedingt aus Gold, Silber oder Bronze. Von DIETER BAUMANN
Schon über eine Woche sind die Spiele alt, und immer mehr Athleten haben ihre Wettkämpfe beendet. Enttäuschung und große Gefühle leben im Olympischen Dorf auf engsten Raum zusammen. Singende Athletengruppen kündigen meist große Taten ihrer Landsleute an. Sind erfolgreiche Mannschaften unterwegs, gibt es spontane Feste mit ungeahnten Emotionsausbrüchen.
Es herrscht, mit jedem weiteren Tag, eine immer heiterere und ausgelassenere Stimmung im Dorf. Bei jeder Gelegenheit, egal ob beim Essen, Trinken, Billard oder Partyzone, mischen sich Athleten aller Sportarten und aller Länder dieser Welt. Dies ist dann tatsächlich gelebte Völkerverständigung. Die gemeinsame Sprache ist ein Lächeln. Leider fand mein Wettkampf immer am letzten Tag statt, und irgendwie konnte ich nur in den ersten Tagen an dieser Welt teilhaben, um mich dann auf den Wettkampf zu konzentrieren. In meinem nächsten Leben werde ich deshalb Luftpistolenschütze.
Die gemeinsame Währung im Dorf sind „Pins“. Anstecknadeln. Dies sind die schönsten Trophäen, die Athleten von den Olympischen Spielen mit nach Hause bringen können. Eine Sammlung von Anstecknadeln aus verschiedenen Nationen der ganzen Welt. Es sind speziell angefertigte Nadeln für die Olympischen Spiele. Gehandelt werden sie an jedem erdenklichen Platz im Olympischen Dorf, und es entsteht sehr schnell eine große Tauschbörse. Eine Nadel aus Deutschland gegen eine aus Italien. Nadeln aus Indien oder der Mongolei waren allein mit Pins kaum noch zu bezahlen. Aber nicht nur Nadeln gegen Nadeln werden getauscht, nein, alles was zur Ausrüstung gehört, wechselt auf der Olympischen Tauschbörse den Besitzer. Nun, fast alles. Der Strohhut der deutschen Mannschaft war und ist nicht viel wert.
Es war nicht einfach, gegen die Händler aus Indien zu bestehen, doch die begehrte Nadel mit dem weißen Elefanten aus Indien bekam ich für nur eine deutsche Nadel (!) und ein T-Shirt. Damals ein Spottpreis.
Nadeln aus Kenia, Simbabwe und Äthiopien waren für mich einfach zu bekommen. Meine Konkurrenz amüsierte sich darüber, dass ich so wild auf die Nadeln war, und man schenkte sie mir. Welch kostbares Pfand im Olympischen Dorf! Beim Einmarsch nämlich fiel mein Blick auf die Kopfbedeckung der mongolischen Mannschaft. Sie trugen kunstvolle Turbane aus reiner Seide. So einen, das stand für mich bei diesem Anblick fest, musste ich haben!
Fünf Tage saß ich stundenlang in der Mensa des Olympischen Dorfes und wartete auf einen Mongolen. Ich schlich um ihren Häuserblock im Dorf und fragte bei meinem Freund von den Fidschi-Inseln nach, ob er einen Zugang zur mongolischen Mannschaft kenne. Mein Kumpel von den Fidschis kennt normalerweise die ganze Welt. Dann endlich, über einen Luftpistolenschützen, gab es einen Kontakt zur Mongolei, und damit begann das Feilschen um den Preis. Nadeln aus Afrika (Geschenke meiner Konkurrenten) und Europa (teuer eingetauscht) waren bei meinem neuen Freund aus der Mongolei sehr begehrt. Doch an einem Deutschland-T-Shirt war er nicht interessiert. Auch der Strohhut oder mein Trainingsanzug ließen ihn kalt. Nach langen Verhandlungen mit Händen, Füßen und ein wenig Schwäbisch stand der Preis fest: eine Nadel aus Simbabwe (die hatte ich doppelt), eine aus Kenia, Italien, Ghana und eine ganz spezielle von den Fidschi-Inseln, dazu noch ein paar Badeschlappen, die Badeschlappen der deutschen Mannschaft.
Am letzten Abend der Spiele schließlich kam es in der Dunkelheit vor dem Haus der Mongolen zur Übergabe. Glückselig mit einem Turban auf dem Kopf marschierte ich zum deutschen Haus. Einfach toll.
Dieter Baumann, 43, ist Leistungssportler, „Lebensläufer“ und war unter anderem Olympiasieger 1992 über 5.000 Meter