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Archiv-Artikel

Gefährlicher Schulbesuch

Erstmals ist durch Hamburgs zentrales Schülerregister ein Kind ohne Papiere aufgefallen. Nun droht die Abschiebung. Flüchtlingshelfer und die Grünen hatten das Register wegen solcher Fälle kritisiert

„Das Schülerregister dient den Behörden zum Aussieben von papierlosen Kindern aus der Schule“

VON KÜBRA YÜCEL

Jetzt ist in Hamburg eingetroffen, was 2005 befürchtet wurde: Erstmals ist ein Kind ohne gültige Papiere durch das neue zentrale Schülerregister aufgefallen. Nach Angaben der kirchlichen Initiative „Fluchtpunkt“ handelt es sich hierbei um eine 15-jährige Südamerikanerin, die seit ihrem vierten Lebensjahr in Deutschland lebt. Ihr und ihrer Mutter droht nun die Abschiebung.

2005 wurde unter dem Motto „Hamburg schützt seine Kinder“ das zentrale Schülerregister eingeführt. Damit reagierte der CDU-geführte Senat auf den Fall Jessica. Die Siebenjährige war jahrelang von ihren Eltern vernachlässigt worden und wurde im März 2005 verhungert aufgefunden. Die Ursache sah die Behörde im Datenmangel, die durch die fehlenden Kommunikation zwischen Meldeamt und Schule entstanden sei. Um künftig Fälle wie Jessica zu vermeiden, führte die damalige Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig das zentrale Schülerregister ein. Damit sollte die Schulpflicht in Hamburg lückenlos durchgesetzt werden.

Die damals oppositionelle Grün-Alternative Liste kritisierte das Schülerregister heftig, da auch die Ausländerbehörde Zugriff auf die Daten hätte. Die Grünen befürchteten damit einen Nachteil für Kinder ohne gültige Aufenthaltserlaubnis.

Anne Harms, Leiterin der kirchlichen Initiative „Fluchtpunkt“ sieht die Befürchtungen von damals nun bestätigt: Seit Einführung des Schülerregisters hätten sich vermehrt papierlose Familien bei ihr gemeldet, die aus Angst vor einer Abschiebung ihre Kinder nicht an der Schule angemeldet hätten. Harms vermutet, dass aus diesem Grund derzeit 200 bis 300 schulpflichtige Kinder in Hamburg nicht die Schule besuchen. „Das Schicksal der 15-jährigen Schülerin“, sagt Harms, „ist ein Fall mit weit reichender Wirkung.“ Derzeit liegt ihr Fall der Härtefallkommission vor. Harms fordert von der Kommission eine befristete Aufenthaltserlaubnis für die Schülerin, „damit sie ohne Druck ihre Schule zu Ende bringen kann“ – Hoffnung auf eine unbefristete Erlaubnis hat die Leiterin der Hilfestelle für Flüchtlinge allerdings nicht. Sie übt jedoch harsche Kritik an den Behörden: Der vermeintliche Datenmangel sei nur ein vorgeschobener Grund der Behörden gewesen. In Fall der verhungerten Jessica habe es nicht an Daten gemangelt, Behörde und Schule seien informiert gewesen. „Hätte es das Schülerregister damals gegeben, der Fall Jessica wäre trotzdem eingetreten“, sagt Harms. Der eigentliche Grund für die Einführung des Register sei der viel diskutierte Fall der Schülerin Yesim Karakadioglu gewesen. Die damals 13-jährige Türkin war jahrelang ohne gültige Aufenthaltserlaubnis zur Schule gegangen. „Das Schülerregister dient den Behörden zum Aussieben von papierlosen Kindern aus der Schule“, meint Harms. Die Behörde habe das Schülerregister schon damals geplant „und stellte es hinterher als Reaktion auf Jessica dar.“

Annegret Witt-Barthel, Pressesprecherin der Schulbehörde, sieht dafür keine Anhaltspunkte: „Die Behauptung, das zentrale Schülerregister sei eingeführt worden, um illegal hier lebende Schülerinnen und Schüler auffliegen zu lassen, ist nicht haltbar.“ Über eine Abschaffung des Registers denke man nicht nach.

Hamburg führt bislang als einzige Stadt Norddeutschlands ein zentrales Schülerregister. Die aktuelle Schulsenatorin Christa Goetsch kommentierte den Fall der Hamburger Schülerin mit den Worten: „Das Menschenrecht auf Bildung gilt für alle Kinder, auch dieses Mädchen hat ein Recht auf den höchsten Bildungsabschluss.“

Die Neuntklässlerin wird am Donnerstag mit dem Ende der Hamburger Sommerferien wie gewohnt zur Schule gehen.