: Gnadenlos billig
Die Sat.1-Dokusoap „Gnadenlos gerecht – Sozialfahnder ermitteln“ erregt mehr Aufmerksamkeit als verdient
Auf Helena Fürst ist Verlass. Die Sozialermittlerin aus Offenbach hat „Ebay-Hans“ überführt, der sein vom Sozialamt bewilligtes Mobiliar versteigerte, und „Mallorca-Karin“, die zwei Ferienappartements besaß und vermietete, während sie Arbeitslosengeld II bekam. Fürst ist bekannt dafür, dass sie sauberes Aufregermaterial liefert.
Als Sat.1 also vor einiger Zeit seine neue Dokusoap „Gnadenlos gerecht – Sozialfahnder ermitteln“ ankündigte, in der Fürst eine Hauptrolle einnimmt, sorgten das Erwerbslosenforum und der Arbeitslosenverband mit prophylaktischer Empörung dafür, dass die wackelig gefilmte, billig zusammengeklopfte Reihe nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient hätte – nämlich keine. Die Vorsitzende des Arbeitslosenverbands, Marion Drögsler, warf Sat.1 vor, „mit dem Elend der Menschen die Einschaltquoten hochzutreiben“. Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum sah, bevor er nur eine Sekunde gesehen hatte, die Gefahr einer „erneuten Hetzkampagne“ gegen Hartz-IV-Bezieher heraufziehen. Die Empörung half: Die Reihe startete am Mittwoch mit 3,22 Millionen Zuschauern und 15 Prozent Marktanteil in der jungen Zielgruppe.
In „Gnadenlos gerecht“ werden Fürst und ihr Kollege Helge Hofmeister dabei begleitet, wie sie Empfänger und Beantrager von Sozialleistungen aufsuchen, um nachzuprüfen, ob sie in Wirklichkeit vielleicht einen – so klingen die Fahnder vor der Kamera – „dicken, fetten BMW“ fahren. Die Wirklichkeit ist allerdings nicht in allen Fällen quotenträchtig, weshalb die Stimme aus dem Off sich genötigt sieht, die Geschehnisse zuzuspitzen, bis das gezeigte Nichts tatsächlich nach Krimi klingt: „Er“ – ein Mann, der Sozialleistungen beantragt – „lebt im Dachgeschoss eines Mehrfamilienhauses, angeblich nicht allein!“ Da ist man glatt versucht, in Panik zu geraten. Der Skandal ist dann aber doch nicht ganz so groß: Der Mann lebt dort tatsächlich mit Frau und Kind, hat aber auch nie etwas anderes behauptet.
Dass in drei von fünf Sozialermittlungsfällen, die Sat.1 in der ersten Folge zeigte, laut Fürst und Hofmeister kein Anspruch auf Sozialleistungen besteht, läuft dabei der Behauptung von Sat.1 strikt zuwider, hier werde „in ausgewogener Form über die gesellschaftliche Realität“ berichtet. Wenn drei von fünf vorgeführten Sozialleistungsempfängern der Betrügerei bezichtigt werden, steht das in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Zahl – im Deutschlandradio Kultur sagte etwa Reiner Lipka, der Leiter des Integrationscenters für Arbeit Gelsenkirchen, als er zur Serie befragt wurde: „Die weitaus meisten Menschen, 98 Prozent, beziehen zu Recht ihre Leistungen.“ Die Sau, die Sat.1 in der Reihe durchs Dorf treibt, hat der Sender vorher selbst gezeugt.
Das Sozialneidfachblatt Bild freilich ließ es sich nicht nehmen, die Serie vorab zu feiern, um so seine Reflexe zu befriedigen, und schrieb, Sat.1 enthülle „einen der offenbar schlimmsten Fälle von Hartz-IV-Missbrauch in Deutschland“: „Türkische Familie baut Luxus-Villa mit Hartz IV“.
Eines muss man Sat.1 allerdings lassen: Form und Inhalt korrespondieren in „Gnadenlos gerecht“ hervorragend, es geht schließlich darum, wie man Geld sparen kann. KLAUS RAAB