: Thüringen teilt Lehrer in zwei Klassen
1998 machte das Land 10.000 Lehrer zu Teilzeitbeamten. Jetzt haben sie wieder Vollzeit-Anspruch. Es droht Ungemach
DRESDEN taz ■ Die Thüringer Lehrerin Uta N. möchte dringend wieder Vollzeit arbeiten. Ihr Lebensgefährte musste Insolvenz anmelden, jeder Euro wird gebraucht. Wäre sie Beamtin, hätte sie ab Donnerstag, dem ersten Tag des neuen Schuljahres, wieder voll arbeiten können– dank einer erfolgreichen Klage gegen einen dauerhaften Teilzeitstatus. Doch als angestellte Lehrerin verharrt sie bei 65 Prozent.
Unter Thüringens Lehrern herrscht ein Zweiklassensystem, das Ergebnis einer kurzsichtigen Verbeamtungspolitik ist. Vor zehn Jahren unterschrieb Uta N. wie viele Kollegen eine so genannte Floating-Vereinbarung. Teilzeit gegen Kündigungsschutz, lautete die Formel damals, um Massenentlassungen zu vermeiden. Gleichzeitig ließ der damalige Kultusminister Dieter Althaus (CDU) die Möglichkeit prüfen, seinen Lehrern den im Westen üblichen Beamtenstatus zu gewähren. Ein Entgegenkommen, so die Landesregierung. Um kurzfristig Geld zu sparen, meint die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Mit der SPD wurde das Beamtengesetz im Erfurter Landtag geändert, ähnlich wie in Brandenburg und Niedersachsen. Wegen der Überlagerung mit dem Floating-Modell erfand man den Teilzeitbeamten.
Die Sache wäre vielleicht gut gegangen, hätte nicht 2004 eine verbeamtete Lehrerin gegen ihre Teilzeit geklagt. Sie hatte nicht nur im November 2006 beim Oberverwaltungsgericht Weimar Erfolg. Im September 2007 verwarf auch noch das Bundesverfassungsgericht die niedersächsische Teilzeit-Beamtenregelung als nicht mit den Grundsätzen des Beamtentums vereinbar. Das Gericht stellte aber auch erstmals fest, dass Lehrer nicht zwingend Beamte sein müssen. Aus diesem Grund zog Thüringen im Februar dieses Jahres seine Revision beim Bundesverwaltungsgericht gegen das Weimarer Urteil zurück.
Nun haben der heutige Ministerpräsident Althaus und Kultusminister Bernward Müller zwei Probleme. Zum einen wollen etwa vier Fünftel der 10.000 Lehrerbeamten wieder Vollzeit arbeiten. „Das entspricht faktisch einem sprunghaften Zuwachs von 1.160 Vollzeitstellen“, sagt Detlef Baer, Sprecher des Kultusministeriums. An sich eine komfortable Situation, aber was das unterm Strich kostet, weiß das Ministerium noch nicht. In drei bis vier Jahren könnte vor allem durch natürlichen Altersabgang aber die Personalsituation ausgeglichen sein, rechnet man. Schwerer wiegt die offenkundige Benachteiligung der angestellten Lehrer, die nicht Beamte werden wollten oder schon zu alt dafür waren. „Die Regierung muss handeln“, räumt der Ministeriumssprecher ein. Eine erste Verhandlungsrunde mit den Lehrerverbänden ist im Juli gescheitert. Nach Schuljahresbeginn wollen beide Seiten erneut verhandeln, wahrscheinlich von Protesten begleitet. Zumindest eine Aufstockung auf 80 Prozent Teilzeit möchte die GEW erreichen.
Wie viele Lehrer diesen Kompromiss in Anspruch nehmen würden, ist unklar. Uta N. gehört in jedem Fall dazu. Seit sie in die solidarische Arbeitsplatzsicherung einwilligte, fühlt sie sich von der Politik verschaukelt. Denn in Thüringen ist keinem einzigen Lehrer gekündigt worden, der 1998 nicht zur Teilzeit bereit war. MICHAEL BARTSCH