: Start – Fahrt – Sieg
Mountainbikerin Sabine Spitz gewinnt überlegen Gold, trägt jubelnd ihr Rad über die Ziellinie und möchte anschließend der Welt vor allem eins mitteilen: „Leistung ist auch ohne Doping möglich“
AUS PEKING ANDREAS RÜTTENAUER
„Irgendwie, das war so, ich weiß nicht.“ Gerade war Ulrike Spitz Olympiasiegerin geworden. Nach einem einsamen Rennen auf der Moutainbikestrecke im Westen der Stadt sollte sie die unvermeidliche Frage beantworten: „Was haben sie in dem Moment gefühlt, als sie ihr Rad über die Ziellinie getragen haben?“ Irgendwie. Ich weiß nicht. Was soll sie schon sagen? Gefreut hat sie sich halt. Und wie! Das hat man ihr angesehen. Noch eine Stunde nach Ende des Rennens strahlt sie genauso wie in dem Moment, als sie das Ziel erreicht hat.
Kräftig wirkt die Frau aus dem Schwarzwald im Vergleich zu ihren Konkurrentinnen. Kein Zufall. Sie hat in diesen Jahr viel für ihre Oberkörpermuskulatur gemacht. Sie hat gewonnen, auch weil sie eine der Stärksten im Feld war. Sie weiß, dass die Frage nach Doping unausweichlich ist, wenn es um Radsport geht. Für einen Moment weicht das Freudestrahlen aus ihrem Gesicht. Sie beugt sich vor, so als wolle sie allen Journalisten noch einmal ganz tief in die Augen sehen, bevor sie sagt: „Wissen Sie was? Bei der Siegerehrung hätte ich am Liebsten ein Schild hochgehalten, auf dem steht: Leistung ist auch ohne Doping möglich!“
Spitz gehört zu den Sportlerinnen, die keinen Zweifel aufkommen lassen wollen an ihrer Integrität. Stinksauer ist sie deshalb auf ihre Mountainbike-Kollegen, die Brüder Lado und Manuel Fumic, die ihre Persönlichkeitsrechte durch die Auflagen im Antidopingkampf verletzt sehen. Richtig wütend wurde Spitz, als die Fumic den Eindruck erwecken wollten, sie würden für den gesamten Sport sprechen. Spitz formulierte einen offenen Brief an die Aufmüpfigen. Sie trommelte in der Szene. Beinahe alle deutschen Spitzenbiker unterzeichneten den Brief. Auch Schweizer Nationalradler setzten ihre Unterschrift unter das Schreiben. Einer der zentralen Sätze lautet: „Wir sind als Sportler bereit, uns mit aller Macht im Antidopingkampf einzusetzen, und akzeptieren weit reichende Maßnahmen, auch wenn wir selbst für deren Notwendigkeit keine Verantwortung tragen.“ Sabine Spitz schaut immer noch ernst: „Ehrlich, ich hätte am liebsten einen Edding gehabt und das Schild geschrieben.“
Doch schnell strahlt sie wieder, erzählt ein wenig aus ihrer Biografie. Erst mit 22 Jahren hat sie mit dem Biken begonnen, weil sie nicht länger zuschauen wollte, wie sich ihr damaliger Freund und jetziger Ehemann Ralf Schäuble bei seinen Rennen schlägt. Sie ist ein Jahr lang allen hinterhergefahren und begann an ihren Grundlagen zu arbeiten. Mit 23 hat sie zum ersten mal an einer WM teilgenommen. Im Schwarzwald. Zu Hause. Sie wurde 45. und arbeitete weiter an sich. 36 Jahre alt ist sie mittlerweile.
Bundestrainer Frank Brückner hat seiner besten Athletin den Sieg von Anfang an zugetraut. Von der Souveränität ihres Auftretens – Spitz kam 41 Sekunden vor der Zweitplatzierten Maja Wloszczowska ins Ziel – war er dann angetan. Ihr Polster war so groß, dass selbst der Sturz auf der Schlussrunde sie nicht mehr gefährden konnte. „Da zeigt sich schon, dass auch die Lebenserfahrung eine Rolle spielt“, sagte er. Spitz selbst hält sich keineswegs für alt. Sie habe spät mit dem Hochleistungssport begonnen, ihr Athletenalter sei also noch gar nicht so hoch. Es geht also weiter mit ihrer Karriere. „Ich bin noch hungrig“, sagte sie. 2012 in London möchte sie noch einmal dabei sein.
Die nächsten Spiele wird sie dann wohl wieder unbeschwerter erleben können. Spitz gehört zu jenen wenigen Athleten, die die Vergabe der Spiele nach Peking von Anfang an öffentlich kritisiert haben („Ich bin prinzipiell gegen die Missachtung von Menschenrechten“). Angetreten ist sie dennoch. „Ich kann ja letztlich nichts dafür, dass die Spiele nach Peking vergeben wurden“, sagte sie. Spitz wollte sich die große sportliche Chance ihres Lebens nicht selbst nehmen. Sie meinte: „Meine Ära ist doch limitiert.“
Zu ihren Eindrücken von China wollte sie nicht viel sagen. Sie sei erst anfang der Wochen angekommen und viel mehr als das Olympische Dorf, die Rennstrecke und den Weg dorthin aus dem Busfenster habe sie nicht gesehen. Zu wenig, um das Land kennenzulernen. Vom anderen der „zwei Gesichter Chinas“ könne man da nichts mitbekommen. Doch: „Ich lasse mich vom Olympiaschein nicht einlullen.“
Sie fasst die Goldmedaille noch einmal an, die neben der bronzenen von Athen in ihrem Wohnzimmer einen Platz finden soll. Sie strahlt noch immer. Die Freude einer mündigen Athletin. Sie hat etwas Ansteckendes.