Krise der Industrie etc. : Pop ist das neue Schnäppchen
Man nimmt ihre Tristesse kaum noch war, so oft werden Totengräber-Nachrichten wie diese gemeldet: „OH (Ohio)“, das neue Album der amerikanischen Alternative-Country-Band Lambchop, wird exklusiv der Oktober-Ausgabe des deutschen Rolling Stone beiliegen. Das Magazin wird gegen einen Aufpreis von 1,40 Euro am Kiosk zu haben sein.
Musikmagazine locken Leser seit Jahren mit kostenlosen CD-Compilations, die Songs verschiedener Interpreten enthalten. So ist Popmusik beim Status eines Bierglases angekommen, das beim Kauf bestimmter Biersorten als Prämie winkt. Da wirkt selbst die Beigabe eines vollständigen Künstler-Albums nicht mehr sonderlich originell, zumal sie mit den immer gleichen Argumenten schmackhaft gemacht wird. „Kunden bleiben dem traditionellen Tonträgerhandel in zunehmendem Maße fern. Wir müssen also neue Wege in die Ohren und die Herzen der Fans finden“, sagt der Inhaber der Plattenfirma City Slang, Christof Ellinghaus, der Lambchop in Europa betreut. Natürlich denkt man da sofort an den Popstar Prince, dessen letztes Album der britischen Mail On Sunday gratis beilag. Hatte Prince eigenhändig, aus Groll auf seine alte Plattenfirma gehandelt, so geschieht die Lambchop-Aktion im Einklang aller Beteiligten.
City Slang hat gerade, so ist zu erfahren, eine Booking-Agentur gegründet, um Einnahmeverluste aus dem Tonträgergeschäft mit der Veranstaltung von Konzerten aufzufangen. Früher barg die Warenförmigkeit von Pop einmal die Chance auf Erneuerung. Glitter und Tand waren fruchtbarer Bestandteil der Ästhetik. Schellackplatten ersetzten Noten, auf denen zuerst Popsongs zirkulierten. Jazzmusiker fanden zu ihrem eigenen Stil über die Imitation von Schallplatten ihrer Konkurrenten. Nun aber scheint wieder eine Devolution einzusetzen, bei der Livekonzerte mehr bedeuten als Tonträger und einzelne Songs auf MySpace wichtiger sind als Alben. Man unterbietet sich gegenseitig mit Dumpingpreisen, verpackt das aber in Slogans wie aus der Bierwerbung: „High-End-Musik trifft auf High-End-Musikjournalismus. Eine Ehe in Sachen Qualität und Synergie, die es so noch nicht gegeben hat“, sagt Ellinghaus über die Kooperation zwischen Plattenfirma und Magazin.
Rolling Stone-Chefredakteur Bernd Gockel schreibt zwar davon, dass der Rückgang von CD-Verkäufen vor allem jene Musiker treffe, die „keine Unterstützung in den Massenmedien“ fänden. Dann aber fügt er an, die CD-Beilage sei „ein Schnäppchen“. Obwohl der Bandleader von Lambchop, Kurt Wagner, einräumt, „dass wir leider nicht wirklich die Mittel für solche großartigen Gesten haben“, entdeckt er in dieser Aktion einen Akt der Nächstenliebe. Vielleicht sollte man Lambchop nun als No-Alternative-Countryband bezeichnen. JULIAN WEBER