: Der Klassiker für Antiliberale
Peter Hacks, der selbst ernannte Staatsdichter der DDR, feiert fünf Jahre nach seinem Tod ein erstaunliches Comeback: Hymnisch wird er in Stellung gebracht gegen das romantisch beschwingte, ironisch abgeklärte Stimmungsgefühl der Bundesrepublik
VON STEPHAN SCHLAK
„Der Schalk hat sich diesen Tag natürlich mit Absicht ausgesucht“, spekulierte der Schauspieler Eberhard Esche am 28. August 2003 über den Tod des Dichters Peter Hacks. Hacks starb an Goethes Geburtstag. Noch in seinem Abgang stellte der formbewusste Ästhet sich in die Nachfolge des Weimarer Großklassikers. War das die letzte Inszenierung des krebskranken Dichters in der Todesstunde?
Goethe war der Stern an Hacks’ Dichterhimmel. Aber es war nicht der Humanistenfreund, den das bürgerliche 19. Jahrhundert in Goethe verehrte, sondern der Weimarer Minister und Staatskünstler, dem Hacks zeitlebens die Treue hielt. Hacks’ durchstilisiertes Leben trug operettenhafte Züge. Wie Goethe in seinem Künstlerstaat Weimar hielt Hacks Hof in der DDR. In den guten Jahren, als ihm sein Drama „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ einen Welterfolg bescherte, war der Dichterfürst auf seiner „Fenne“ in Groß-Machnow, seinem absolutistischen Landsitz, umschwirrt von Pfauen und Bediensteten. Aber mit den Jahren wurde sein Staat immer kleiner. Erst vergraulte er mit seinem höhnischen Kommentar zur Biermann-Ausweisung alte Freunde; als die Erfolge auf dem Theater ausblieben, kommt ihm das standesgemäße Dienstpersonal abhanden – und am Ende auch noch die DDR als Lebensthema und Schicksalsmacht. Im neuen Deutschland nach 1990 isoliert sich Hacks immer mehr. Als er vor fünf Jahren stirbt, scharen sich wenige letzte Getreue um ihn.
Nun hat sich das Blatt gewendet. Peter Hacks ist zurückgekehrt – wenn auch noch nicht auf die Theaterbühne, so doch auf die feuilletonistische Bühne der Aufmerksamkeitserregung. Schon lange ist er kein Geheimtipp mehr. Zu seinem 80. Geburtstag in diesem Frühjahr waren hymnische Artikel zu lesen. An vielen Orten wird sein Erbe gepflegt. Noch in seinem Todesjahr erschien im Eulenspiegel-Verlag die 15-bändige Werkausgabe letzter Hand; darauf folgten verstreut über die Jahre Briefe an die „verehrten Kollegen“. Im Literaturarchiv Marbach wird derzeit sein Nachlass, den Hacks der Akademie der Künste vorenthielt, aufbereitet. Auch der rührige Verlag André Thiele aus Mainz hat sich Verdienste erworben. Halbjährlich greift der Hacksianer zur Zeitschrift Argos mit den neuesten „Mitteilungen zu Leben, Werk und Nachwelt des Dichters“. Nun liegt in dem Kleinverlag auch eine solide recherchierte Bibliografie vor.
Die aktuelle publizistische Hacks-Mafia hat viele Gesichter, ein weltanschaulich wild durcheinandergewirbeltes Grüppchen hat sich in der Verehrung für Peter Hacks zusammengefunden – der literarische Jungkommunist Dietmar Dath und der katholische Büchner-Preis-Träger Martin Mosebach, das „hübsche Pflänzchen“ Sahra Wagenknecht, der Hacks mit einem Privatstipendium von 5.000 DM das Studium finanzierte, und der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der mit Fanfarenstoß („Er ist unser“) Hacks für das konservative Lesepublikum entdeckte. In einer schwindelerregenden Parallelaktion wird Hacks gleichzeitig auf die kommunistische Plattform und in den bürgerlichen Olymp gehoben. Schon wird allenthalben vor der Verbürgerlichung gewarnt, ziehen die Gralshüter gegen die Erbschleicher zu Felde. Aber spannender als diese Kämpfe um die Gunst des verblichenen Meisters scheint doch die Suche nach den Gründen für das erstaunliche Comeback des klassischen Dichters zu sein.
Unter den vielen Veröffentlichungen der vergangenen Jahre sticht André Müller seniors „Gespräche mit Hacks“ hervor. Wie der Anekdotenkranz, den Hacks noch zeitlebens selbst um sich legte, tragen die apodiktisch geschliffenen Sentenzen in den „Gesprächen“ zu seinem Nachruhm bei. Müller, der Lebensfreund, Shakespeare-Forscher und Kommunist, ist Hacks’ Eckermann. Über 40 Jahre lang von 1963 an hat er seine Gespräche mit Hacks protokolliert. Dieser Band ist weit mehr als ein intimes Dichterporträt. Es ist eine faszinierende Reise in die untergegangene Kulturlandschaft der DDR, in der die gesamte DDR-Intelligenz glossiert wird: der „Reiseschriftsteller“ Stephan Hermlin, Stefan Heym, dessen frühen Romanen Hacks durchaus zugetan ist – und natürlich der lebenslange Rivale und „Happening“-Dichter Heiner Müller, den Hacks lange fördert, obwohl er seine „ästhetische Haltung“ schon früh missbilligt.
Auch wenn sie oft im antikisierenden Gewand der Adaption daherkamen, waren Hacks’ Theaterstücke eminente Zeitstücke über die DDR. „Du kannst sicher sein“, sagt Hacks einmal, „wenn in meinen Stücken ein Trottel auftaucht, ist niemand anderer als Honecker gemeint.“ Der sozialistische Stabwechsel an der Führungsspitze 1971 von Ulbricht auf Honecker war für Hacks ein absolutistisches Königsdrama. Mit der Inthronisation des „Honigbäckers“ sah er das Ende der „Staatskunst“ gekommen, die Anbiederung an die westliche „Dekadenz“. Noch in seinen letzten Jahren recherchierte er für ein großes Ulbricht-Drama, nahm dazu sogar Kontakt zur Witwe „Lotte“ auf. Aber sosehr der alte Hacks sich an Begeisterung für den „Staatsmann“ Ulbricht von niemandem überbieten ließ, so sehr hatte der junge Hacks, der sich den autonomen liberalen Gedanken von der „Eigengesetzlichkeit der Kunst“ noch nicht versagte zu denken, mit Ulbrichts Kulturbürokratie zu kämpfen. Sein Aufbaustück „Die Sorgen und die Macht“ wird in den Sechzigerjahren schnell vom Spielplan des DT genommen.
Hacks hat sich seit den Achtzigerjahren selbst ins Abseits gestellt. Überall witterte er die Verwestlichung. Nach einer modernistischen Aufführung seines „Seneca“ 1980 in Dresden schäumte er: „Die Bühne ist von Minks, die Regie von Peymann und das Niveau von Heilbronn. Es ist reine Westscheiße – und von stinkender Langeweile, die das Publikum verwirrt erträgt.“ Mit seinen Elogen auf Ulbricht und den Triumphgesängen auf die Mauer („Der Erdenwunder schönstes war die Mauer“) hat Hacks in späten Jahren eine eigene Kunst entwickelt, sich „bei allen unbeliebt zu machen“. Aber die „Gespräche“ enthüllen auch den Preis dieser trotzigen stalinistischen Selbstbehauptungsposen. „Ich schreibe zurzeit überhaupt nicht. Es geht mir nicht gut. Ich leide am Wetter, an den Hauptproblemen, an der Politik und um genau zu sein: an allem.“
In einer ätzenden, aber auch von Verschwörungswahn überdrehten, brillanten Polemik hat Hacks 2001 sein allgemeines Unwohlsein auf den Begriff gebracht – „Zur Romantik“. Für Hacks war die Romantik nicht eine literarische Zeitströmung, sondern die allgemeine „Gemütslage der Frondeure“. „Das erste Auftauchen der Romantik in einem Land ist wie Salpeter in einem Haus, Läuse auf einem Kind oder der Mantel von Heiner Müller am Garderobehaken eines Vorzimmers.“ Mit ihren freizügigen Lektüren hätten die ichsüchtigen Romantiker (Fühmann, Hermlin, Müller, Christa Wolf) den Untergang der DDR herbeigeschrieben. Immer ist Hacks in Sorge vor der romantischen Infiltration. In den Gesprächen mit André Müller empört er sich, dass der Aufbau-Verlag statt einer neuen kanonischen Lukács-Auflage ausgerechnet Friedrich Schlegel drucke – den „Urvater aller Romantiker“. Mit der Realgeschichte der DDR hatte das alles wenig zu tun. Sie war für den kommunistischen Playboy, der Mitte der Fünfziger von München in die DDR übersiedelte, seit je nur Spielmaterial.
Weit mehr als die „Gemütslage“ der marxistischen DDR-Dissidenten trifft die Romantik aber das Stimmungsgefühl der Bundesrepublik. Der dominante westdeutsche intellektuelle Typus, der in seinen stürmisch rebellischen Jugendjahren der „Phantasie an die Macht“ verhelfen wollte und sich später in der unpolitischen Idylle des ironisch abgeklärten, liberalen Konfektintellektuellen gut eingerichtet hat, ist ein Romantiker. Es ist der Typus des gemütlich plaudernden Pfeifenrauchers, der sich in den frühen Achtzigerjahren mit E. T. A. Hoffmanns „Elixieren des Teufels“ von seinem marxistischen Vorleben entfremdet hat. Rüdiger Safranski hat dieser romantischen Ideologie im vergangenen Herbst noch einmal ein Denkmal gesetzt.
Aber diese Zeit ist nun vorbei. Nach all den leeren Versprechen der Experimente und Provokationen, Abweichungen und Überschreitungen verströmen Hacks’ strenge Formen neuen Reiz. „Alle Abweichungen sind grundsätzlich dümmer als die Regel.“ Mit Hacks dürfen wir wieder unbefangen von den klassischen Prinzipien sprechen, die die Dekonstruktion einmal kassiert hat – „Werk“, „Tradition“, „Genie“. In der okkasionellen ästhetischen Situation der Zeit, in der die Hierarchien und „Maßgaben der Kunst“ entglitten sind, ist Peter Hacks der Dichter der Stunde. Aber man täusche sich nicht: Die kulturkonservative Schwärmerei für die strengen klassischen Formen der unwiederbringlich verlorenen Tradition hat selbst etwas Romantisches.
André Müller sen.: „Gespräche mit Hacks 1963–2003“. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2008, 464 Seiten, 24,80 €