: Heiter weiter
Der Schnorrerverein Hertha BSC Berlin und der Investitionsgigant VfL Wolfsburg trennen sich 2:2
BERLIN taz ■ Geschickt wie ein geübter Metzgermeister schnitt Lucien Favre nach dem Spiel das Filetstück der Partie heraus – aus Hertha-Sicht natürlich. Er lobte, mit welch großer Spielintelligenz sein Team einen 0:1-Rückstand in eine 2:1-Führung verwandelt hatte. Den großen Rest der Partie ließ Favre in seiner öffentlichen Analyse links liegen. Denn: „Als Trainer muss man immer das Positive festhalten.“
Favres Gegenüber, der Wolfsburger Trainer Felix Magath, hatte hingegen das große Ganze im Blick und bekannte: „Ich weiß nicht, ob ich froh, glücklich oder unzufrieden sein soll.“ Heiter stimmte ihn gewiss der Treffer von Sascha Riether in allerletzter Minute zum 2:2-Endstand. Für Missmut sprachen hingegen etliche vergebene Großchancen seines Teams zuvor. Allein der sonst so treffsichere Brasilianer Grafite hätte sich in Normalform wohl gegen die lange Zeit sehr desorientiert wirkenden Herthaner dreimal in der Torstatistik verewigt.
Die ausladende Berliner Schwächeperiode über weite Strecken des Spiels entschuldigte Trainer Favre kurz damit, dass sein Team durch den frühen Rückstand gegen eine „Topmannschaft“, „kaputt“ gewesen sei. Ricardo Costa hatte die Gäste bereits in der ersten Minute nach einer Ecke von Zvjezdan Misimovic in Führung geköpft. Hertha, gab Trainer Favre später wie so oft zu bedenken, befinde sich ja noch im Aufbau. Hier das Entwicklungsprojekt, dort das Starensemble – der Hauptstadtklub fühlt sich der Davidrolle verbunden, wenn es gegen den finanzstarken Werksverein aus Niedersachsen, den vermeintlichen Goliath, geht.
Das dargestellte Ungleichgewicht mutet seltsam an, starteten doch beide Vereine mit demselben Ziel in die Saison, einen Uefa-Cup-Platz zu erreichen. Magath sprach deshalb vor der Partie von einem Duell auf Augenhöhe. Nun, das stimmt auch nicht ganz. Das veranschaulicht die Personalie Andrej Voronin, der für Hertha ein mittelprächtiges Debüt gab. Kurz vor Transferschluss hatten sich ihn die Berliner für eine Saison vom FC Liverpool ausgeborgt. Wolfsburg dagegen hat ein Vielfaches an Geld ausgegeben, um seinen Kader aufzubessern. Der Erfolg wird in der Autostadt erkauft, während Hertha sich ihn notgedrungen gerade zusammenschnorrt. Der freundliche Voronin attestierte nach seiner Premiere im Olympiastadion seinem Team aber großes Potenzial. Er sagte: „Die Mannschaft spielt guten Fußball. Manchmal spielt sie vielleicht zu gut, anstatt den Ball einfach wegzuschlagen.“ So liebreizend ist Hertha wohl noch nie kritisiert worden. Wie sein Trainer tat Voronin so, als ob das Spiel nur eine halbe Stunde gedauert hätte. Der Rest zählte einfach nicht.
Lucien Favre sprach dem Neuzugang das höchste Lob aus, das er zu vergeben hat: „Er hat kollektiv gespielt.“ In der Tat ließ sich Voronin häufig zurückfallen und setzte sich mehr als Flankengeber denn als Torjäger in Szene. Marko Pantelic fiel hingegen als Egozentriker auf.
Als Hertha wenige Minuten nach Gojko Kacars Ausgleichstor (57.) von Schiedsrichter Stark einen Handelfmeter zugesprochen bekam, schwatzte der Serbe dem vorgesehenen Strafstoßschützen Cicero den Ball ab. Favre gestikulierte währenddessen wild an der Seitenlinie, wusste er doch, dass Pantelic die letzten drei Elfer allesamt verschossen hatte. Als dann der Eigensinnige das Leder am Tor vorbeischob, führte der Schweizer einen Veitstanz auf, wie man ihn bis dahin im Olympiastadion vermutlich noch nie gesehen hatte. Der Trainer hatte Pantelic nicht vor dem wenig rühmlichen Bundesligarekord bewahren können. Nur Bruno Labbadia scheiterte einst mit dem ruhenden Ball und aus elf Metern ebenso konsequent viermal in Serie.
Kommentieren wollte Favre die Szene hernach nicht. Und Pantelic? Er bat mit versteinerter Miene um die nächste Frage. Dabei hätte er immerhin darauf verweisen können, dass er kurz nach seinem Fehlschuss dem geprellten Cicero mustergültig den Ball zum 2:1 servierte. Arne Friedrich jedenfalls versprach, dass beim nächsten Elfer alles anders werde: „Notfalls gehe ich dahin.“ JOHANNES KOPP