: Hauptsache Efeu – koste es, was es wolle
Die britischen Hochschulen wollen Gebühren nach Gusto erheben. Sonst können sie nicht mit den Elite-Unis der USA konkurrieren, sagen die Rektoren. Weil auch die Regierung will, dass Oxford und Cambridge Markenzeichen für „beste Bildung“ bleiben, wird sie den Wünschen wohl entgegenkommen
aus London ULRIKE WINKELMANN
Am klarsten hat es der Präsident der Universität Oxford gesagt. „Unser Maßstab ist die erste Riege der nordamerikanischen Universitäten“, erklärte Colin Lucas kürzlich. Dass britische Hochschulen im internationalen Uni-Wettbewerb ganz vorne stehen sollen, verlangt auch Tony Blairs Regierung. Das Hochschulsystem soll politische und wirtschaftliche Eliten und Nobelpreisträger produzieren – genau wie die nordamerikanischen Universitäten der so genannten Efeu-Liga, der Ivy League.
Zu dieser Liga gehören Hochschulen wie Harvard oder Yale. Benannt sind diese ursprünglich acht Universitäten nach dem Bewuchs der meistens irgendwie neogotisch aussehenden typischen Campusbauten aus dem neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert. Mittlerweile wird der Ausdruck gerne für alle weltweit als Karrieresprungbretter bekannten US-amerikanischen Universitäten genutzt.
Deren teils original gotische und kaum weniger bewachsene Vorbilder stehen in Großbritannien, namentlich in Oxford und Cambridge. Rings um diese altehrwürdigen Institutionen, aber auch um die international nicht ganz so bekannten, gleichwohl gut beleumundeten Universitäten der so genannten Russell Group tobt seit Wochen und Monaten ein Streit um die Studienfinanzierung (die taz berichtete am 4. Dezember 2002). Denn die Russell-Group-Universitäten sehen sich in akuter Finanznot und behaupten, sie könnten den bestehenden Lehr- und Forschungsstandard nicht aufrechterhalten, wenn sie nicht sehr bald sehr viel mehr Geld bekommen würden.
Unterfinanzierung ist auch ein Problem, das die anderen 130 britischen Hochschulen für sich in Anspruch nehmen würden. Doch es sind die 19 Mitglieder der Russell Group, so getauft nach dem Russell Hotel in Londons Uni-Viertel, wo sich ihre Rektoren erstmals getroffen haben, deren Alarmruf zur Regierung durchdrang. Kein Wunder, denn an diesen Hochschulen hängt der Ruf des britischen Bildungssystems und der Anspruch, mit der Ivy League zu konkurrieren. Neben Oxford und Cambridge gehören dazu die mächtigen Londoner Hochschulen University College London, Imperial College und London School of Economics, aber auch die Unis in Bristol, Edinburgh oder Warwick.
Ob die britischen Hochschulen zu ihren eigenen Bedingungen mit der Ivy League konkurrieren können – oder ob sie dazu wie die Ivy League werden müssen, scheint eine Frage des Geldes zu sein. Gegenwärtig steht in Harvard oder Yale rund viermal so viel Geld pro Student zur Verfügung wie in Oxford. Sir Lucas weist darauf hin, dass erstangestellte Oxford-Dozenten mittlerweile ebenso mies verdienen wie Anfänger bei der Polizei. Doch „vor allem die Qualität der studentischen Erfahrung ist wirklich bedroht“. Sein Hauptargument: „Wir glauben an eine notwendige Verbindung von Forschung und Lehre, und wir verlangen, dass alle Lehrenden auch aktiv an hochwertiger Forschung beteiligt sind.“
Forschung kostet, und das Lehrpersonal mit Forschung zu beschäftigen sowie ein günstiges Zahlenverhältnis zwischen Lehrpersonal und Studierenden aufrechtzuerhalten, kostet auch. Lucas plädiert deshalb dafür, die Unis Gebühren erheben zu lassen, die die Kosten der Kurse abdecken. Solange gewährleistet würde, dass arme Studierende ausreichend gefördert würden, „gibt es keinen Grund anzunehmen, dass Gebühren abschreckend wirken“.
Genau davon jedoch geht die Mehrheit der Hochschulpolitiker aus. In wenigen Tagen wird die britische Regierung ihren mehrfach hinausgezögerten Bericht zum Thema vorlegen. Auf seiner Basis soll entschieden werden, wie das 10-Milliarden-Pfund-Loch (16 Milliarden Euro) in den Uni-Haushalten zu stopfen ist. Nach heftigen Protesten seitens der Studierenden, der breiten Öffentlichkeit, aber auch aus eigenen Reihen, hat New Labour Abstand von der Idee genommen, einfach die Studiengebühren von derzeit 1.100 Pfund (1.800 Euro) jährlich um ein Mehrfaches zu erhöhen (top-up fees). Das halbe Kabinett hat schon durchblicken lassen, dass man eher für eine Absolventensteuer (graduate tax) sei, die Leuten mit Hochschulabschluss ab einer gewissen Einkommensgrenze auferlegt werden könnte. Dazu aber müsste es Studienkredite geben, ähnlich wie das deutsche Bafög.
Die Uni-Chefs geben in der Debatte die Hardliner. Auch Derek Roberts, Rektor an Londons University College, sagt, es sei bloß realistisch, für erhöhte Gebühren zu plädieren. Er weist darauf hin, dass Forschung der entscheidende Faktor ist, der die Qualität von Hochschulbildung und übrigens auch große Teile der Volkswirtschaft beeinflusst. Er hält es für unrealistisch, dass ein Kreditsystem installiert wird – zu kompliziert, meint er. „Es ist wahr, dass fast alle Autoritäten dieses Landes, vom Premierminister an abwärts, vom gebührenfreien System profitiert haben. Aber das war in einer anderen Ära“ – als Hochschulbildung ohnehin eine Sache der wenigen und nicht der vielen war. Anders gesagt: Als nur eine Elite studierte, war ihre zusätzliche Förderung aus Steuermitteln kein Problem. „Hochschulbildung für alle“ heißt, dass die meisten leider selbst zahlen müssen.
Der Rektor der London School of Economics, Anthony Giddens, hat sich auch in der Frage der Studiengebühren mit seinem berühmten Jingle zu Wort gemeldet: „Es gibt einen dritten Weg“, erklärt er. Eine einfache Gebührenerhöhung würde arme Studierende abschrecken und, übrigens, auch die Labour wählenden Mittelschichten befremden. Eine Absolventensteuer würde vom Staat eingesammelt, und die Unis sähen wohl nicht so viel davon.
Der einzige Weg, wie die Russell-Group-Unis sicherstellen können, dass sie ihre Aufwendungen finanziert bekommen, sei ein Kreditsystem: Die Studierenden würden günstige, aber nicht subventionierte Kredite aufnehmen, um erhöhte Gebühren zu bezahlen (Giddens schlägt vor, bei 3.000 oder 4.000 Pfund – 4.800 oder 5.400 Euro – anzufangen). Die Hochschulen könnten „flexible“ Gebühren nehmen, und wer nie wirklich gut verdient, braucht den Kredit auch nicht zurückzuzahlen.
Damit verbindet Giddens die bislang auf dem Tisch liegenden Vorschläge – und nach allem, was bislang durchgesickert ist, scheint sich Tony Blair auch in dieser Frage gern an Giddens anzulehnen. Es könnte jedoch sein, dass genau der für die Unis entscheidende Punkt, den Giddens genannt hat, Blair noch am meisten Widerspruch beschert: Die Hochschulen wollen Gebühren nach Gusto, also ohne staatliche Vorgaben erheben können. Allen ist klar, dass dies die bestehenden Unterschiede zwischen den Russell-Group-Unis und den schlichteren Hochschulen verschärfen wird, genauer gesagt: endgültig ein Mehrklassensystem schaffen wird. Denn die Unis, die sich für Weltspitze halten, werden hohe Gebühren nehmen, und die bescheideneren Institutionen, wo „nur gelehrt“ wird, werden mit niedrigen Gebühren bescheidenere Studierende anlocken. Geld wird damit ein entscheidender Faktor bei der Uni-Wahl sein, trotz aller Stipendien (wer auch immer dafür aufkommt).
„Damit würden wir unsere eigene Ivy League erschaffen“, warnt die Präsidentin der National Union of Students, der nationalen Studierenden-Vertretung, Mandy Telford. Vermutlich aber ist es genau das, was die Mehrheit der Rektoren und die britische Regierung beabsichtigen – in der Annahme, dass Geld eben doch auch für Hirn bürgt. Entscheidend ist, dass hinten Nobelpreisträger rauskommen.