: Einschnitte gefordert – für wen?
Schröder und Stoiber für Mut zu Veränderungen. Rentner dürfen schon mal anfangen
BERLIN taz/ap/dpa ■ Die Bürger sollen nicht mehr so viel vom Staat erwarten. „Mehr Eigenverantwortung“ lautet das Motto 2003 – da waren sich Bundeskanzler Gehard Schröder (SPD) und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) in ihren Neujahrsansprachen einig. Schröder forderte „Mut zu grundlegenden Veränderungen“. Stoiber mahnte: „Wir dürfen nicht länger in Kategorien der Besitzstandswahrung denken und handeln.“ Was bei Schröder indirekt anklang, sprach Stoiber deutlich aus: Er prognostizierte „Einschnitte“. Nur eine Frage ließen die beiden Spitzenpolitiker unbeantwortet: Einschnitte für wen? Wer wird in Deutschland am meisten „Mut zu Veränderungen“ beweisen dürfen?
Interpretationen gibt es schon. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt schloss erneut aus, dass die Rentner ab Juli mit einer Nullrunde rechnen müssen. Dies hatte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt gefordert. „Die Rentenanpassung wird nicht angetastet“, sagte die SPD-Politikerin. Aber auch sie rechnet damit, dass die Renten um weniger als einen Prozentpunkt steigen.
Die Rechnung: Nach der Rentenformel steigen die Bezüge der Rentner wie die Bruttolöhne der Arbeitnehmer. Doch ab 2003 werden die Rentenzuwächse für acht Jahre um jeweils 0,5 Prozentpunkte gekappt. Denn um genau diese insgesamt vier Prozentpunkte steigen schrittweise auch die Aufwändungen der Arbeitnehmer für die „Riester-Rente“. Die Rentner sollen sich also an den neuen Lasten beteiligen.
Ab 2004 wirkt sich für die Rentner allerdings noch ein zweiter Effekt aus: Die Rentenformel berücksichtigt auch die Veränderungen des Rentenbeitragssatzes. Dieser beträgt seit gestern 19,5 Prozent statt bisher 19,1 Prozent. Insgesamt rechnet das Bundessozialministerium daher damit, dass die Rentenzuwächse um 1,0 bis 1,1 Prozentpunkte niedriger ausfallen als der Anstieg der Bruttolöhne. Sollten die Gehälter im nächsten Jahr nur unwesentlich zulegen, wären die Rentner nicht mehr weit von einer Nullrunde entfernt – ganz ohne jeden „Mut zur Veränderung“. Die gültige Rentenformel sorgt dafür.
Hinzu kommt, dass unsicher ist, ob der Rentenbeitrag bei 19,5 Prozent verharrt. Er könnte erneut steigen, was die Rentenzuwächse weiter minimieren würde. Denn der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger fürchtet, dass die Hartz-Reformen die Rentenkassen mit 500 bis 750 Millionen Euro belasten. So wurden die Minijobs von 325 auf 400 Euro ausgeweitet, und in einer „Gleitzone“ zwischen 401 und 800 Euro zahlen die Arbeitnehmer nur gestaffelt ein.
Um die Kassen zu entlasten, forderten die Rentenversicherer, auch ältere Menschen einzustellen. Dies wäre wirklich „Mut zur Veränderung“: Bisher beschäftigt nur die Hälfte aller Betriebe Arbeitnehmer über 50. U.H.