Innenstadt-Umbau: Einkaufsparadies zwischen Ballindamm und Mönckebergstraße soll den Einzelhandel in der City auf Jahre hinaus stabilisieren
: Städtebauroulette

Mit der Europa-Passage droht Hamburg einen Teil seines schmalen bauhistorischen Erbes zu verspielen, warnen Kritiker: Stadtgrundriss, Alsterfassade und Kontorhäuser in Gefahr
von GERNOT KNÖDLER

Die Kontorhäuser machen die Unverwechselbarkeit der Innenstadt aus

Kaum ein städtebauliches Thema hat in den vergangenen zwei Jahren soviel Widerstand provoziert wie die geplante Europa-Passage zwischen Mönckebergstraße und Ballindamm. Sie stieß auf massive Kritik der Architektenkammer, der Akademie der Künste, von Denkmalschützern und Kunsthistorikern. Mehr als 3000 Proteststimmen wurden gesammelt, beim Bezirksamt Mitte gingen 300 Einwendungen gegen das Vorhaben ein, das inzwischen mehrfach überarbeitet worden ist. Die Kritik richtete sich in erster Linie gegen die Zerstörung des berühmten Straßengrundrisses, auf dem die Stadt nach dem Großen Brand vom Mai 1842 wieder aufgebaut wurde, die Veränderung der Alsterfassade und die Zerstörung einiger Kontorhäuser, eines Architektur-Typus, der für Hamburg typisch ist.

Das Quartier, das der 430 Millionen Euro teuren Passage weichen soll, ist in den Augen der Kunsthistorikerin und GAL-Bezirksabgeordneten Ursula Schneider ein Beispiel für die Großstadtmodernisierung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Für sie gehört es in eine Reihe mit der Speicherstadt, dem Durchbruch der Mönckebergstraße, der Sanierung der südlichen Neustadt und dem Kontorhausviertel, zu dem das Chile-Haus und der Sprinkenhof gehören. Hamburg habe zwar nur wenige Bauwerke aus der Zeit vor der Industrialisierung vorzuzeigen und auch die für fürstliche Residenzstädte typischen Prunkbauten sucht das Auge hier vergebens. Umso wichtiger sei es, die Zeugnisse dieser Großstadt-Modernisierung zu erhalten, allen voran die Kontorhäuser.

Nach den Plänen der Allianz Immobilien-GmbH und der Hamburgischen Landesbank sollen zwischen der Kleinen Rosenstraße, dem Ballindamm und der Bergstraße halbe Häuserblocks planiert und dabei gleich mehrere Kontorhäuser abgerissen werden. Die Investoren planen dort 35.000 Quadratmeter vermietbare Einzelhandels- und 30.000 Quadratmeter Bürofläche. Die Einzelhandelsfläche in der City würde sich mit Beginn der Vermietung Ende 2006 schlagartig um ein Drittel vergrößern.

Die mehrstöckige, aus zwei Ellipsen bestehende Passage würde am Ballindamm, wenige Meter nördlich der Ecke Jungfernstieg beginnen und schräg durch den heutigen Häuserblock über die Paulstraße zur Mönckebergstraße verlaufen. Ihren städtebaulichen Reiz bezieht sie daraus, dass sie in der Verbindung zwischen dem geplanten Kreuzfahrtterminal der Hafencity und dem neu zu gestaltenden Jungfernstieg liegen wird.

In zehn Jahren sollen Touristen eine Promenade am Magdeburger Hafen entlangschlendern, bei St. Annen die Speicherstadt durchqueren und über den Domplatz, der zu einem kulturellen Zentrum mit Zentral-Bücherhalle und Archäologiemuseum werden soll, in die Passage strömen. Gleichzeitig entstünde eine umsatzträchtige Abkürzung vom Passagenviertel zwischen Jungfernstieg und Gänsemarkt zum Einkaufsquartier an der Mönckebergstraße.

Zum Preis, den die City für diese gewaltige Investition und mutmaßliche Attraktivitätssteigerung bezahlen muss, gehört die Verwandlung der öffentlichen, wiewohl hässlichen Paulstraße in eine Einkaufspassage sowie die Zerschneidung der Hermannstraße mit einer dreistöckigen gläsernen Brücke. Trotz ihrer Transparenz würde eine solche Brücke die Blickachse zwischen dem Rathausmarkt und St. Georg unterbrechen und damit den Straßengrundriss von 1842 zerstören. „Man darf sich keinen Illusionen hingeben“, warnte Eckart Hannemann, der Leiter des Denkmalschutzamtes bei einer Podiumsdiskussion. „Was jetzt wie Eingehen auf den Stadtgrundriss aussieht, kann von Passanten gar nicht wahrgenommen werden.“

Die Brücke ist aus Sicht der Passagen-Planer erforderlich, um die Anziehungskraft der Schaufenster auf die Passanten nicht abreißen zu lassen. Wird die Flucht der Geschäfte zu lange unterbrochen, verlässt die Kundschaft die Passage. Nach dem Plan des Architekten Hadi Teherani würden die Passanten zwar das Höhenniveau wechseln, aber nicht die Ebene, und so über die Hermannstraße hinweggleiten.

Der Passage im Weg steht das Europahaus mit seinem marmorverkleideten Treppenhaus (Fotos). Weil die Gliederung der alsterseitigen Fassade nicht mit der Deckenhöhe der Passage kompatibel ist, soll auch die Fassade fallen. Ein kühner Neuentwurf Teheranis, der das südlich anschließende Haus Vaterland einbegriff, stieß auf breite Ablehnung. Der Architekt hatte sehr große Fenster in tiefen Rahmen vorgesehen. Darin sollten die Scheiben unterschiedlich weit vorn sitzen, so dass das Glas, über die gesamte Fassade betrachtet, von hinten nach vorn und wieder zurück schwingen sollte.

Das Haus Vaterland, 1903/1904 nach Entwürfen von Martin Haller und Hermann Geißler errichtet, soll inzwischen nicht mehr abgerissen werden. 1951 vereinfacht wieder aufgebaut, gilt es als Beispiel für eine gelungene Nachkriegsmodernisierung. Einen neuen Fassadenentwurf für den Abschnitt des Europahauses will das Architekten-Büro Bothe/Richter/Teherani (BRT) in einem Monat vorstellen.

Das 1909 bis 1912 nach Plänen von Georg Radel erbaute Europahaus zeigt zur Alster hin eine nachträglich überstrichene, streng gegliederte Natursteinfassade, die im Sinne der Reformarchitektur mit dekorativen Details versehen wurde. Die rückwärtige Fassade zur engen Hermannstraße hin ist ebenfalls fein gegliedert und im norddeutschen Backsteinstil gehalten. „Diese backsteinernen Rückseiten sind ein auf Kontorhäuser übertragenes Relikt der alten Speicherbauten“, sagt Schneider. Die alten Kaufmannshäuser hatten eine repräsentative Vorderseite und zum Fleet hin eine auf praktische Bedürfnisse ausgerichtete Rückseite. Das Europahaus gilt als denkmalwürdig, soll aber abgerissen werden.

Erhalten bleiben soll dagegen das Kontorhaus Bergstraße 16 an der Ecke Bergstraße/Hermannstraße, das 1906/07 nach Plänen von Haller und Geißler gebaut und 1923/24 von Friedrich Wilhelm Zerbe und Willi Harder expressionistisch umgebaut wurde. Schneider zufolge ist dies neben dem Stella-Haus am Kajen „der einzige expressionistische Putzbau unter den Kontorhäusern“. Das gegenüberliegende Haus Bergstraße 22, das „Raddatz-Haus“ von Henry Grell (1907), soll nach Angaben der Investoren „in neuer Form in das Gesamtkonzept der Europapassage integriert“ werden. Die Bergstraße 26 sei nicht in das Projekt einbezogen.

Die Kontorhäuser liegen Schneider als Inbegriff des Modernisierungsprozesses der Großstadt Hamburg am Herzen. In Skelettbauweise errichtet hätten sie mit frei einteilbaren Flächen den vielen Im- und Exportfirmen der Hamburger Wirtschaft optimale Bedingungen geboten. Zugleich habe es diesen „zu einer zeitgemäßen Infrastruktur und einer gewissen Repräsentativität“ verholfen. Die Fassaden der Kontorhäuser, die sich nach dem Großen Brand in der City ausbreiteten, prägen noch heute deren Gesicht. „Das Kontorhaus macht deren Unverwechselbarkeit aus“, sagt Schneider. Aus ihrer Sicht käme anstelle der Europa-Passage daher nur eine sensible Modernisierung des Gebäudebestandes in Frage.