: Erste Bilder von der Front
Die Dokumentation „20 Minuten bis Bagdad – An Bord des Flugzeugträgers Abraham Lincoln“ führt vor, wie sich eine Weltmacht zur See und in der Luft für den Krieg warm läuft (So., 21.45 Uhr, ARD)
von CHRISTIAN BUSS
Naveed Muhammad rollt in seiner Kabine fünf mal am Tag den Gebetsteppich aus, um Richtung Mekka zu beten. Aber wo liegt Mekka, wenn man sich auf einem Schiff befindet, das ständig den Kurs wechselt? Das sind so die Fragen, die sich der 20-Jährige stellt, während er als einziger Muslim unter 6.000 Soldaten und Technikern seinen Dienst im tiefen Bauch der „Abraham Lincoln“ ableistet. In einer Sache ist sich Naveed allerdings ganz sicher: „Die Attentäter des 11. Septembers haben das Wort Dschihad missbraucht. Ich bin für den Krieg.“
Der letzte Satz ist denn auch so ziemlich das Einzige, was den höflichen Elektriker mit dem aufgepumpten Versorgungsoffizier Mike verbindet, der gerade auf Deck in die rote Abendsonne schaut und einem jüngeren Kameraden zuraunt: „Es kann mitten in der Nacht losgehen. Dann stehst du voll unter Adrenalin.“ Wenn Mike so was sagt, klingt das wie ein Versprechen. „Adrenalin“ ist sein Lieblingswort, und auch sonst redet er wie der Milizendarsteller Chuck Norris, wenn der gerade mal wieder amerikanische GIs aus irgendeinem Dschungelknast rauspaukt.
Mike sagt Dinge wie: „Ich war schon Patriot, als ich aus meiner Mutter rauskroch.“ Oder er verkündet: „Ich stehe 110 Prozent hinter dem Präsidenten. Wenn er sagt, dass Krieg ist, dann ist Krieg.“ Der Kommentar aus dem Off, mit dem ansonsten sparsam umgegangen wird in der Soldatenstudie, bringt die Motivation des Enddreißigers auf den Punkt: Den Golfkrieg hat Mike verpasst, weil sich sein Schiff damals im Dock befand; das nagt noch immer am Selbstbewusstsein.
Mechaniker und Piloten
Dave „Knuckles“ Kneeland ist da sehr viel vertrauenerweckender. Der Pilot wirkt konzentriert und nachdenklich, während seiner Einsatzbereitschaft schreibt er einen Artikel für die Bordzeitung. „Knuckles“ fliegt in einem Verband, der „die Faust der Flotte“ genannt wird. Einmal begleitet ihn die Kamera auf einem Übungseinsatz in der Luft. „Heute haben wir einen herrlichen Tag zum Fliegen“, schwärmt „Knuckles“. Am Boden spricht der sympathische Hüne dann mit ernster Miene über mögliche Kriegseinsätze: „Für mich gibt es nur das Ziel. Ich bringe es nicht mit Menschen in Verbindung.“
Anthony Makins’ Reportage „20 Minuten bis Bagdad“ ist denkbar nüchtern gehalten. Und verbreitet doch einen stillen Schrecken. Auf spektukuläre militärische Simulationen wird verzichtet – und bis auf ein paar Ausnahmen auch auf martialische Hintergrundmusik. Makins durfte zehn Tage auf allen Ebenen des Flugzeugträgers Abraham Lincoln filmen. Seine Technik ist so simpel wie effektiv: Er schaut Menschen bei der Arbeit zu, beleuchtet ihre technischen Aufgaben und fragt nach familiären Hintergründen. Einmal beobachtet der Autor die „Braunhemden“, die nur selten etwas vom Tageslicht sehen, weil sie in 14-stündigen Nachtschichten die Jets pedantisch für die Flüge am nächsten Morgen säubern. Ein anderes Mal folgt er den „Weißhemden“, wie sie an Deck die Maschinen lotsen und jede Landung der Piloten benoten, um deren Leistung auf Höchstniveau zu bringen. So offenbart sich eine Art personeller Querschnitt des Kriegsschiffs, das wie ein Paralleluniversum nach eigenen Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Hier haben alle möglichen Klassen und Charaktere ihren Platz, vielleicht sogar unterschiedliche Religionen. Aber alle glauben an den Krieg.
Die Koproduktion von BBC und NDR ist formal zwar als Mixtur aus Gesellschaftsporträt und Schulungsvideo gestaltet, doch vor die unaufgeregten Bilder des komplexen technischen und sozialen Gebildes schieben sich immer wieder bizarre Impressionen, die unmissverständlich von der Kampfbereitschaft der Besatzung künden. Da wird auf einen Jet geblendet, auf dessen Schnauze die vier Absturzorte des 11. Septembers geschrieben stehen, und darunter liest man die launige Aufforderung: „Hijack this!“ Oder es sind Bomben zu sehen, die mit patriotischen Botschaften bekritzelt worden sind. Und einmal nimmt die Mannschaft auf der Landebahn Aufstellung, so dass sich aus der Luftperspektive die Worte „Ready Now“ erkennen lassen. Die Kamera hält diese archaischen Bilder lakonisch fest.
Muskulöse Rhetorik
Das Muskelspiel der Soldaten entspricht der martialischen Rhetorik von Präsident Bush, der ja erst gestern mal wieder den „Tag der Abrechnung“ ankündigen ließ. Doch es sind nicht unbedingt diese Drohgebärden, die dem Zuschauer jeden Zweifel daran nehmen, dass der Krieg am Golf unmittelbar bevorsteht. Es ist vielmehr die präzise Darstellung der kriegerischen Logik, nach der die Parallelwelt des Flugzeugträgers bis ins kleinste Detail organisiert ist. Denn – so formuliert der Sprecher am Ende mit einem seltenen Anflug von Pathos – „wo die ‚Abraham Lincoln‘ ist, da ist die Front.“