buchpreis, shortlist etc.
: Literaturbetrieb 2.0

Neuerdings hängt man ja jedem Begriff die Endung 2.0 an. Aus dem engeren Umfeld von Internet und Update hat sich diese Chiffre längst gelöst. Sie besagt nur noch, dass irgendetwas anders geworden ist als früher, und zwar leichter, anpassungsfähiger, aber dennoch keineswegs unverbindlich. Von der Ehe 2.0 hat man schon gelesen (man redet in ihr auch miteinander) und auch vom Hausputz 2.0 (offenbar gibt es besonders leistungsfähige Staubwischtücher).

Dass man inzwischen auch vom Literaturbetrieb 2.0 reden kann, liegt am Deutschen Buchpreis. Dieses Marketinginstrument ist flexibel genug, um alle tradierten Redeweisen, wie über Literatur zu sprechen sei, in sich aufzunehmen. Wie wichtig Lesen für Gesellschaft, Identität, Bildung etc. ist – das zu betonen geben Longlist, Shortlist und Preisvergabe immer wieder Anlässe genug. Zu den klammheimlichen Spielregeln des Preises gehört aber auch, dass er vor allem dazu da ist, Verbindlichkeit für Leser zu generieren. Er produziert das eine gute Buch der Saison, das man gelesen haben muss, weil Freunde und Verwandte es wahrscheinlich auch gelesen haben werden.

Sonst gehört zu den Spielregeln noch, dass alles, was man konkret über die inhaltliche Ausrichtung des Preises sagen kann, nur für das jeweilige eine Jahr gilt. Kontinuitäten gibt es nicht. Nächstes Jahr gibt es wieder eine neue Jury, da kann alles schon wieder anders sein. Das sieht man jetzt an der Shortlist, die gestern bekannt wurde. Sprach 2007 der Preis für Julia Francks „Mittagsfrau“ für das Bedürfnis nach dem episch aufbereiteten Frauenschicksal, hat man jetzt zur Sicherheit mit Iris Hanika nur eine Autorin auf die Liste gesetzt. Ihrem Buch „Treffen sich zwei“ wünscht man jeden Preis der Welt. Zugleich würde man sich aber etwas wundern, wenn es ihn auch tatsächlich bekommen sollte. Sherko Fatah, der später noch Preise bekommen wird, und Ingo Schulze, der schon viele Preise hat, sind gute Zählkandidaten. Auf Rolf Lappert könnte man sich einigen, wenn man sich sonst nicht einigen kann. Bleiben Dietmar Dath und Uwe Tellkamp – und das ist eine Alternative, die es in sich hat.

Dath schreibt Roman nach Roman, als wolle er das Erzählen im Alleingang erneuern – in Kontakt mit avancierten Diskursen und Popkultur. Tellkamp legt mit „Der Turm“ ein Epos aus der untergehenden DDR vor – in Kontakt zur Erzählwelt Thomas Manns und bildungsbürgerlichen Abstiegsszenarien. Beide Literaturansätze interpretieren ganz unterschiedlich, was Romane heute können müssen, sollen und dürfen.

Die Shortlist 2008 spricht damit für das Bedürfnis nach grundsätzlicheren Debatten auch im Literaturbetrieb 2.0. Am 13. Oktober wird der Preis verliehen. DIRK KNIPPHALS