Die Rechnung der Opfer

Ein noch unbearbeitetes Kapitel: Eine Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum EL-DE-Haus in Köln dokumentiert die nationalsozialistische Germanisierungspolitik in Slowenien

Ansprüche an die im Jahr 2000 gegründete Bundesstiftung zur Entschädigung von Zwangsarbeitern haben die Slowenen nicht

Als Tone Kristan 13 Jahre alt war, kamen die Deutschen. Binnen weniger Stunden mussten er und seine Familie im Oktober 1941 ihr Haus räumen, durften nur mitnehmen, was sie tragen konnten. Slowenien, die „Untersteiermark“, sei uraltes deutsches Siedlungsgebiet, hatten die Nazis beschlossen. Wie der Familie Kristan erging es rund 280.000 Slowenen, einige wurden nach Rumänien und Bulgarien deportiert, die meisten aber nach Deutschland. Dort mussten sie Zwangsarbeit leisten. Eine Entschädigung haben sie nicht erhalten – bis heute nicht.

An dieses Schicksal erinnert die Ausstellung „Nationalsozialistische Germanisierungspolitik in Slowenien 1941–1945 und der Kampf um Entschädigung“, die noch bis zum 26. Oktober im Kölner NS-Dokumentationszentrum EL-DE-Haus gezeigt wird. Vorher war sie schon in Wernigerode/Harz zu sehen, mit Nürnberg wird verhandelt. „Slowenien ist unser europäischer Nachbar“, erklärt Karola Fings vom Dokumentationszentrum, „doch die gezielte Vertreibung der Slowenen ist ein noch unbearbeitetes Kapitel in der Geschichte.“ Österreichs Rechtsaußen Jörg Haider ist ein aktuelles Beispiel für die Tradition der bewussten Verdrängung dieses Kapitels. Die Ausstellung – 12 Stelltafeln mit reichlich Text und vielen Fotodokumenten, viele erstmals gezeigt – wurde von der „Slowenischen Vereinigung der Okkupationsopfer 1941–1945“ zusammengestellt. Gegründet wurde die Interessenvertretung 1997 vom heute 80-jährigen Kristan.

Sie soll die Forderung nach Entschädigung vom deutschen Staat als Rechtsnachfolger des Nazi-Regimes vorantreiben. „Aus deutscher Sicht wurden wir ja schon entschädigt“, lacht Kristan und zitiert deutsche Diplomaten. „Die Bundesrepublik hat Jugoslawien 1,24 Milliarden Mark Kredite für den Wirtschaftsaufbau gewährt, wovon auch ein Teil nach Slowenien geleitet wurde. Alles wurde inzwischen zurückgezahlt – eine schöne Entschädigung“, sagt Kristan und sein Lachen klingt auf einmal bitter. Die Rechnung der Okkupationsopfer sieht anders aus: Zwei Milliarden Euro fordern sie – 400 Euro für jeden Monat, den einer im KZ saß, 200 für einen Monat im Gefängnis, 300 monatlich für jeden Vertriebenen. „Für den Verlust der Freiheit, der Menschenwürde, das Vermögen, den nicht gezahlten Arbeitslohn“, fasst er zusammen. Und er verweist darauf, dass von 80.000 Menschen, die von den Nazis deportiert wurden, heute nur noch 30.000 leben.

Wie ein Hohn mutet im Nachhinein die Ankündigung der „Zivilverwaltung in der Untersteiermark“ vom 20. Oktober 1941 an: „Das Eigentum der Umgesiedelten wird gewahrt oder entschädigt.“ Damals diente sie dazu, die Gemüter der Vertriebenen zu beruhigen und sie über die wahren Absichten der nationalsozialistischen Besatzer in die Irre zu führen. Ansprüche an die im Jahr 2000 gegründete Bundesstiftung zur Entschädigung von Zwangsarbeitern haben die Slowenen nicht. „Das lag an unserer unfähigen Regierung“, schimpft Kristan. Vor allem aber ist es ein feiner formaler Unterschied: Die Slowenen kamen nicht zur Zwangsarbeit nach Deutschland, sondern sie wurden zunächst dorthin deportiert, um das Land frei zu machen für deutsche Umsiedler etwa aus Südtirol. Lediglich ein kleiner Rest des Staatsgebietes sollte ihnen noch verbleiben. 280.000 waren für die Deportation vorgesehen. Über 580.000 Menschen, mehr als 70 Prozent der Bevölkerung, wurden rassenbiologisch erfasst und in „eindeutschungsfähig“ und „nicht eindeutschungsfähig“ unterschieden. Viele „eindeutschungsfähige“ Kinder wurden ihren Eltern weggenommen und in deutsche Familien gegeben, die Eltern umgebracht. 24.000 kamen in ein KZ, 3.000 wurden als Geiseln erschossen.

Fast 300 deutsche Lager sind inzwischen wieder bekannt, in denen die Deportierten nach langen Bahnfahrten ohne Verpflegung untergebracht wurden. Die meisten Lager befanden sich in Schlesien, Sachsen und Thüringen, aber auch in Bayern, im Schwarzwald oder im Harz, einige wenige in Nordrhein-Westfalen. Ziel der Okkupationsopfer ist, in jedem der Orte eine Gedenktafel anzubringen, bislang ist dies erst in Wernigerode geschehen.

Wer arbeiten konnte, musste – meist in Kleinbetrieben – arbeiten. Zwölf Stunden am Tag waren die Regel, Lohn gab es nicht, Essen nur das Nötigste. Manche durchliefen zehn Lager – bis zur geplanten endgültigen Umsiedlung nach Sibirien. Kristan wurde zunächst einer Gärtnerei bei Breslau zugeteilt, später arbeitete er als „Elektriker“ in einer Fabrik im Harz, die Kaffee-Ersatz produzierte. Im Frühjahr 1945 schlug er sich mit seiner Familie zurück nach Slowenien durch, zwölf Tage dauerte es, bis sie ihren Heimatort wieder erreichten – und dort vor dem Nichts standen. „Wir lassen ja mit uns reden – aber die deutsche Regierung sollte endlich auch mit uns reden“, beklagt er das Schweigen aus Berlin zu den Entschädigungsforderungen. „Zwei Wochen Kur im Jahr sollten doch für jeden Überlebenden möglich sein.“ ERICH HUPPERTZ

Bis 26. Oktober, NS-Dokumentationszentrum EL-DE-Haus, Köln