: Schily droht Ver.di
Verhärtete Fronten im Tarifstreit. Schlichtung gescheitert. Gewerkschaft verlangt neues Angebot der Arbeitgeber. Innenminister will Angebot nicht nachbessern. Streik wird wahrscheinlicher
BREMEN/BERLIN taz/dpa ■ Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di fordert von den Arbeitgebern ein neues Angebot – und zwar bis morgen. Dann würden die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst in Potsdam wieder aufgenommen werden, erklärte Ver.di-Chef Frank Bsirske gestern in Bremen. Sollten die Verhandlungen scheitern, werde es Streiks „von außergewöhnlicher Härte“ geben, sagte Bsirske. Am Mittwoch wollen Gewerkschaft und Arbeitgeber in Potsdam zu letzten Verhandlungen zusammenkommen, um einen Streik noch abzuwenden.
In der Nacht zum Montag war die Schlichtung vorerst gescheitert. Die Arbeitgeber lehnten die Empfehlung ab, die die Schlichter Hans Koschnick und Hinrich Lehmann-Grube vorgelegt hatten. Danach sollten Löhne und Gehälter rückwirkend zum Jahresanfang um 2,4, ab 2004 um 0,6 Prozent steigen. Zusätzlich sollte es eine Einmalzahlung in Höhe von 7,5 Prozent des Monatsgehaltes geben, höchstens aber 216 Euro im Westen und 194,40 im Osten. Gleichzeitig sah der Vorschlag eine Angleichung der Ostvergütungen bis 2007 vor. Alle Beschäftigten sollten auf einen freien Tag im Jahr verzichten, neu eingestellte Mitarbeiter im ersten Jahr eine Gruppe niedriger eingestuft werden.
Innenminister Otto Schily (SPD) drohte den Gewerkschaften: „Wenn sie streiken, ist unser Angebot sofort vom Tisch.“ Gleichzeitig widersprach er dem Gerücht, dass die Arbeitgeber morgen mit einem neuen Angebot in die Tarifverhandlungen in Potsdam gehen wollten. Zudem kritisierte Schily die Schlichter scharf. „Sie haben sich mit ihrer Einigungsempfehlung weitgehend an die Gewerkschaftsforderung angelehnt.“ Schily rechnete damit, dass der Schlichterspruch die öffentlichen Kassen rund 12 Milliarden Euro in zwei Jahren kosten würde – und damit 6 Milliarden Euro mehr, als die Arbeitgeber angeboten hatten.
Laut Angebot der Arbeitgeber wären die Einkommen 2003 um 2,2 Prozent und 2004 noch einmal um 0,6 Prozent gestiegen. Allerdings sollte die automatischen zweijährliche Erhöhung der Bezüge ausgesetzt werden. Außerdem bestanden die kommunalen Arbeitgeber darauf, die Wochenarbeitszeit um eine halbe Stunde zu erhöhen.
Schlichter Koschnick hingegen bezifferte die Zusatzkosten auf lediglich 1,5 Milliarden Euro. Er hatte daher den öffentlichen Arbeitgebern geraten, den Schiedsspruch anzunehmen – ein Streik würde teurer. Bayerns Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU), der die Länder vertritt, erklärte dazu: „Wenn wir uns auf so eine Argumentation einlassen, sind wir unbegrenzt erpressbar.“
Unterdessen äußerte sich das wirtschaftsnahe Institut der Deutschen Wirtschaft zu den Folgen eines Streiks. „Auch wenn der Streik diesmal genauso lange dauert wie 1992, wird er deutlich teurer werden als damals“, sagte Finanzexperte Winfried Fues zur taz. 1992 hatten 12 Streiktage volkswirtschaftliche Kosten von 256 Millionen Euro verursacht.
JAN KAHLCKE, MATTHIAS BRAUN
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