: 30 Todesurteile für einen Mord
Militärgericht im Kongo spricht Urteile im Verfahren um die Ermordung von Laurent Kabila vor zwei Jahren
BERLIN taz ■ Ein Militärgericht in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa hat gestern 30 Menschen wegen der Ermordung von Staatschef Laurent Kabila am 16. Januar 2001 zum Tode verurteilt. Das Urteil bleibt deutlich hinter dem Antrag der Militärstaatsanwaltschaft zurück, die gegen die insgesamt 130 Angeklagten des Verfahrens 115 Todesurteile beantragt hatte. Dennoch droht nun pünktlich zum erhofften Beginn eines Friedensprozesses im Kongo eine Massenhinrichtung von Kabila-Gegnern, falls der amtierende Staatschef Joseph Kabila – Sohn des Ermordeten – nicht das ihm zustehende Recht auf Begnadigung ausnutzt.
Prominentester Todeskandidat ist Eddy Kapend, der einstige Chefadjutant Laurent Kabilas. Kapend war es, der nach dem Tod des Präsidenten im Staatsfernsehen zur Ruhe aufgerufen und damit Mutmaßungen geschürt hatte, er selbst habe einen Militärputsch verübt. Einem offiziellen Untersuchungsbericht über die Todesumstände des Präsidenten zufolge war der eigentliche Mörder Kabilas einer seiner Leibwächter namens Rachidi. Der habe Kabila in seinem Büro erschossen und sei dann von Eddy Kapend getötet worden, als er fliehen wollte – was die Anklage als Versuch des Adjutanten wertete, den Täter zu beseitigen, damit dieser seine Auftraggeber nicht mehr nennen könnte.
Mehrere andere Zeugen der Vorgänge in Kabilas Residenz am 16. Januar 2001 haben dieser Version in allen Einzelheiten widersprochen, ebenso die Angeklagten vor dem Militärgericht. Kapend wurde wenige Tage nach Laurent Kabilas Tod verhaftet, als simbabwisches Militär Joseph Kabila einflog und dieser zum neuen Staatschef ausgerufen wurde. Simbabwische Soldaten sicherten auch den Mordprozess uind bewachten die Gefangenen, die nach Angaben von Menschenrechtlern gefoltert wurden.
Mangels vernünftig sichergestellter Beweismaterialien kreiste die Debatte vor dem Militärgericht um Indizien und um die Glaubwürdigkeit von Behauptungen. Kapend beteuerte seine Unschuld und verglich sich mit einem Weihnachtsbaum, den man erst schmücke, um ihn dann zu verbrennen, wenn man ihn nicht mehr braucht. „Wenn ich die Macht hätte übernehmen wollen, hätte mich nichts daran gehindert“, sagte Kapend im Dezember in seinem Schlusswort. Militärgeneralstaatsanwalt Oberst Charles Alamba sagte in seinem Plädoyer: „In diesem Prozess gibt es eine Schuldvermutung. Die Unschuldvermutung ist eine juristische Fiktion. Ein Militärrichter spricht niemanden frei, er nimmt eine repressive Stellung ein, um die Bevölkerung zu sichern“.
Die Urteile kommen zu einem heiklen Zeitpunkt. Am 17. Dezember unterzeichneten alle Kriegsparteien und politische Kräfte des Kongo ein Friedensabkommen. Die Umsetzung verzögert sich allerdings, weil der Vertrag erst von einer Vollversammlung des „innerkongolesischen Dialogs“ bestätigt werden müsste, für die es derzeit weder einen Termin und einen Tagungsort noch Geld gibt, und weil wichtige Einzelheiten noch ungeklärt sind. Radikale Anhänger des toten Laurent Kabila, die sich in der Bewegung „M-17“ zusammengeschlossen haben, machen unterdessen gegen das Friedensabkommen mobil. Sie haben die Militärgerichtsbarkeit in Kinshasa zu Ermittlungen gegen die beteiligten Politiker wegen Ausplünderung des Kongo aufgefordert.
Sollte Joseph Kabila die Todesurteile gegen die Mörder seines Vaters kippen, würde er sich auf Konfrontationskurs mit M-17 begeben. Sollte er die Hinrichtung der 30 Todeskandidaten zulassen, würde dies auf so viel Protest seitens Oppositioneller stoßen, dass der Friedensprozess in Gefahr gerät. DOMINIC JOHNSON